Die Dienste und Einrichtungen der Hilfen im Wohnungsnotfall sind in großer Sorge um die Menschen in Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot, um die Mitarbeitenden der Hilfeangebote und zuweilen auch um die Existenz der Einrichtungen.Die BAG Wohnungslosenhilfe e. V. (BAG W) fordert ein 10-Punkte-SofortprogrammMehr...
Zum Hintergrund
Die bedrohliche Lage wohnungsloser Menschen
Die CORONA-Krise bedeutet für wohnungslose Menschen eine dramatische Verschlechterung ihrer ohnehin bereits prekären Lebenslage.
In ordnungsrechtlicher Unterbringung und in Notübernachtungen sind wohnungslose Menschen nach wie vor in Mehrbettzimmern untergebracht. Zwar gibt es Bemühung einzelner Kommunen, die Belegungssituation in den Unterbringungen zu entzerren, dieser Prozess ist aber bislang nicht flächendeckend in Gang gekommen. Eine Reduzierung der Belegungsdichte bedeutet dann häufig aber immer noch eine Belegung mit mindestens zwei Personen pro Zimmer.
In einzelnen Bundesländern ist ein Aufnahmestopp für stationäre Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe verhängt worden. Wohnungslosen Menschen bleibt nun häufig nur noch ein Unterkommen in den bereits zu dicht belegten kommunalen Notunterkünften.
Beratungsstellen müssen ihr Angebot zurückfahren und auf das Nötigste beschränken. Die Beratungskontakte können in der Regel nur telefonisch oder online erfolgen. Dies ist eine schwere Belastung für Menschen, „bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind“ (§ 67 SGB XII). Sie benötigen die Beratung und persönliche Betreuung, „um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten“ (§ 68 SGB XII). Die Schließung von Angeboten wird zu weiteren psychischen und physischen Belastungen der wohnungslosen Menschen führen.
Niedrigschwellige Angebote wie Tagestreffs, Mittagstische etc. sind zu einem großen Teil geschlossen oder können nur sehr reduziert Hilfe und Unterstützung anbieten.
Die medizinischen Versorgungsangebote halten ihre Angebote äußerst eingeschränkt aufrecht oder müssen sie ganz einstellen. Insbesondere Hilfeangebote im Bereich der medizinischen Hilfen, der Nahrungsmittelversorgung, Kleiderkammern etc. sind maßgeblich auf Unterstützung ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. In den medizinischen Projekten engagieren sich viele Pflegekräfte und Medizinerinnen und Mediziner im Ruhestand, also Menschen, die aufgrund ihres Alters zu einer durch das CORONA-Virus besonders gefährdeten Personengruppe gehören.
Wegen Behördenschließungen haben Betroffene Schwierigkeiten ihren ALG II-Tagessatz zu erhalten oder dringend benötigte Ausweispapiere zu beantragen, die aber wiederum Voraussetzung zur Beantragung von Sozialleistungen sind. Um hier Abhilfe zu schaffen und Leistungen beantragen zu können erscheint ein Rückgriff auf § 52a Abs. 1 Nr. 2 SGB II sinnvoll. Hiernach darf die Agentur für Arbeit bei Personen, die Leistungen nach diesem Buch beantragt haben, beziehen oder bezogen haben, Auskunft aus dem Melderegister nach den §§ 34 und 38 bis 41 des Bundesmeldegesetzes und dem Ausländerzentralregister einholen soweit dies zur Bekämpfung von Leistungsmissbrauch erforderlich ist. Die Nr. 52a.21 der Fachlichen Weisungen der Agentur für Arbeit führen zu § 52a SGB II aus: Die Überprüfung von Meldedaten kann z. B. bedeutsam sein zur Beurteilung der Frage des ständigen Wohnsitzes der leistungsberechtigten Person und ihrer Bedarfsgemeinschaft.
Einnahmequellen für wohnungslose Menschen sind versiegt: Das Sammeln von Pfandflaschen, der Verkauf von Straßenzeitungen und auch das Betteln sind in leergefegten öffentlichen Räumen inzwischen kaum mehr möglich.
Die von der Regierung angeordneten Kontaktverbote, die gebotenen hygienischen Schutzmaßnahmen sind mit den Lebensumständen wohnungsloser Menschen nicht vereinbar. Zugleich sind viele wohnungslose Menschen, die ganz ohne Unterkunft auf der Straße leben, die in Sammel- oder Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind, in prekären Mitwohnverhältnissen oder in sonstigen Dauerprovisorien leben, eine gesundheitlich hoch belastete Bevölkerungsgruppe. Sie leiden häufiger als die Mehrheitsbevölkerung unter Mehrfacherkrankungen.
Viele wohnungslose Menschen gehören also zur Corona-Risikogruppen, haben aber keine Chance soziale Kontakte zu reduzieren, die notwendigen Hygienemaßnahmen einzuhalten und Schutz durch den Rückzug in die eigene Wohnung zu finden.
Die Mitarbeitenden und die Dienste und Einrichtungen der Hilfen im Wohnungsnotfall
Es ist unabdingbar, in dieser Notlage die Infrastruktur für wohnungslose Menschen aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet für Mitarbeitende eine teilweise extrem hohe Belastung und kann nur gelingen, wenn die Hilfeangebote entsprechend gut ausgestattet und der Krisensituation angepasst sind.
Die Krisensteuerung durch die Verwaltung ist vielerorts mangelhaft: Informationen werden nicht zentral gesammelt und verteilt. Die Kommunikation mit den Gesundheitsämtern ist im gesamten Bundesgebiet schwierig. Die Hotlines sind hochfrequentiert. Für die Dienste und Einrichtungen gibt es keine separate Auskunft.
In den Diensten und Einrichtungen herrscht ein großer Mangel an Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Diese sind in vielen Fällen kaum mehr vorhanden und auch nicht mehr zu beschaffen.
Es fehlt an Corona-Tests für Mitarbeitende und für die Klientinnen und Klienten der Einrichtungen. Dies führt zu großer Verunsicherung bei den Mitarbeitenden und zu Verunsicherung und Ängsten bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkünfte und stationären Einrichtungen: Einerseits sind Klientinnen und Klienten aufgrund ihrer sozialen Schwierigkeiten und der besonderen Lebensverhältnisse nicht in der Lage Abstandsgebote und hygienische Maßnahmen einzuhalten, andererseits werden im Alltagsbetrieb stationärer Einrichtungen, selbst wenn diese über Einzelzimmer verfügen, Küchen und sanitäre Anlagen gemeinschaftlich genutzt. Häufigere Testungen wären für die wohnungslosen Menschen und die Mitarbeitenden von Gemeinschaftsunterkünften eine wichtige Maßnahme, um einen frühzeitigen Infektionsschutz organisieren zu können.
Quarantänemaßnahmen nicht abgesichert
In vielen Kommunen gibt es bisher wenige Vorkehrungen, um für wohnungslose Menschen Quarantänemöglichkeiten vorzuhalten. Dezidierte Notfallpläne bei einer bestätigten Erkrankung mit Corvid-19 sind nicht bekannt. Erst einige Kommunen und die Stadtstaaten Berlin und Hamburg haben begonnen kommunale Unterbringungsmöglichkeiten durch die Anmietung zusätzlicher Räumlichkeiten zur erweitern und auch die Quarantäneunterbringung wohnungsloser Menschen vorzusehen.
Stationäre Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe haben je nach ihren Möglichkeiten Zimmer oder Wohnbereiche mit eigener Küche und Bad geräumt bzw. zu Isolierzimmern und -wohnungen umgewidmet. Ob diese Maßnahmen ausreichend sind, bleibt ungewiss.
Wohnungsnotfallhilfe als Teil der kritischen Infrastruktur
Unter den gegebenen Umständen ist es vollkommen unverständlich, dass die Hilfen im Wohnungsnotfall bislang nur in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Berlin sowie in wenigen Kommunen anderer Bundesländer explizit der systemrelevanten kritischen Infrastruktur zugeordnet werden.
Das Wort "systemrelevant" bestimmt im aktuellen Zusammenhang, welche Berufe als grundsätzlich unverzichtbar für das Gemeinwesen gelten. Es werden also Personengruppen definiert, die beruflich in sogenannten „kritischen Infrastrukturen“ tätig sind. Die Liste der systemrelevanten Berufe und Berufsgruppen wird von den Bundesländern geführt und kann variieren.
Kritische Infrastrukturen sind gemäß des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI‐Gesetz‐BSIG) wie folgt definiert: „Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen einträten."
Aktuell ist eine solche Zuordnung für die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe wichtig, damit Mitarbeitende beispielsweise eine Kindernotbetreuung einfordern können und es damit nicht zu weiten Personalengpässen kommt. Die Zuordnung zur kritischen Infrastruktur erleichtert auch den Zugang der Dienste und Einrichtungen zu den notwendigen Schutzuntensilien, die häufig Voraussetzung zur Aufrechterhaltung der Arbeit sind.
Sofortiges Aussetzen von Zwangsräumungen
In der gegenwärtigen Krise ist es nicht verantwortbar, Zwangsräumungen von Wohnungen vorzunehmen. Mietschulden entstehen nicht erst durch den Verdienstausfall in der Corona-Krise. Deshalb müssen die vor der Krise eingeleiteten Räumungsverfahren jetzt verbindlich ausgesetzt werden. Menschen dürfen in dieser Situation nicht aus ihren Wohnungen geräumt und in Notunterkünfte eingewiesen werden, die schon jetzt überfordert sind und in denen eine Kontaktreduzierung nicht möglich ist.
Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe wirtschaftlich absichern
Die Dienste und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe müssen wirtschaftlich abgesichert sein. Sollte die öffentliche Infrastruktur aufgrund der Krise längerfristig nur stark eingeschränkt funktionieren, also bspw. Entgelte und Zuwendungen nicht mehr fristgerecht fließen, könnte es zu ungewollten Zahlungsunfähigkeiten und Insolvenzen der Hilfeangebote kommen. Für die Träger und Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe müssen bei Bedarf auch zusätzliche Mittel von Kommunen, Bundesländern und des Bundes unbürokratisch zur Verfügung stehen.
Solidarität jetzt!
Es ist absehbar, dass Engpässe bei der Versorgung der wohnungslosen Menschen in allen existentiellen Lebensbereichen auftreten und anhalten werden. Deswegen ruft die BAG W die Bevölkerung in Deutschland zur Solidarität mit den wohnungslosen Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf!
Diese Empfehlungen und Forderungen basieren maßgeblich auf den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage im März/April 2020 unter den Mitgliedern und Mitgliedseinrichtungen der BAG Wohnungslosenhilfe
Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an:
Werena Rosenke, Geschäftsführerin BAG W, 0151-16 70 03 03, werenarosenke@bagw.de
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