20. JUNI 2021

Gedanken zum 3. Sonntag nach Trinitatis

Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. (Lukas19, 10)

 

Den Autoschlüssel haben wir doch alle schon einmal verlegt, oder? Dass ein Buch, dass wir nochmal lesen möchten, plötzlich „wie vom Erdboden verschluckt“ ist, kennen wir. Wir suchen und suchen und steigern uns so richtig in die Suche hinein. Alles dreht sich um das Gesuchte. Die gut gemeinte Frage „Wo hast du denn den Schlüssel das letzte Mal hingelegt?“ oder „Wann hattest du das Buch das letzte Mal in der Hand?“ helfen nicht weiter, sondern machen aggressiv.

 

Der Satz Jesu „Ich bin gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ meint nicht die Suche nach dem Autoschlüssel oder dem Buch. Bei der Suche nach Materiellem hat Jesus nur eine Antwort: „Be cool! Irgendwann fallen dir Buch und Schlüssel schon wieder in die Hände!“

Jesus geht es um die „verlorenen“ Menschen. Er sagt den Satz zu dem im Baum sitzenden Zachäus – und der freut sich wie Bolle, weil Jesus bei ihm zu Gast sein will. Zachäus ist selig, weil sich mit diesem Besuch sein Leben ändert. Es wird neu, schön und gerecht.

 

Wer sind „Verlorene“? Immer diejenigen, die versagt haben, die böse oder schlecht sind? Nein, das ist nicht Jesu Stil – diese moralinsaure Seite kennt er nicht. Er meint die Menschen, die „verrückt“ sind, die nicht mehr da sind, wo sie hingehören, die Deplatzierten: Zachäus auf dem Baum – und nicht bei den Menschen. Der aus der Bahn geworfene Vater – und nicht an der Seite seiner Familie. Das auf dem Schützenfest allein umherlaufende Kind – und nicht an der Hand seiner Mutter.

 

Jesus rückt nah an diese Menschen heran, weil er Sätze wie „Selbst schuld!“, „Hopfen und Malz verloren!“ oder „Vergebliche Liebesmüh!“ nicht kennt. Er lässt sich auf sie ein, hört ihnen zu. Er hilft, ihre Sichtweise zu verändern und gibt Mut für den ersten Schritt zum Geraderücken.

 

Mitarbeitende der Bahnhofsmission wissen auch, mit solchen „Verrückten“ umzugehen. Sie begegnen täglich „Deplatzierten“, die „außen vor“ sind. Sie helfen, gemeinsam mit „Aus-der-Bahn-Geworfenen“ einen Weg zu finden. Die „Verrückten“ wissen oft selbst, dass sie den Weg verlassen haben. Sie brauchen die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission als Wegweisende, um den ersten Schritt in die richtige Richtung zu machen.

 

Und mit jedem Schritt kommt man dem Ziel näher:

Ein gelungenes, sinnvolles, gemeinschaftliches, erfülltes, gastfreundliches, frohes – ein seliges Leben.

 

Andreas Overdick

Andreas Overdick

Leiter der Bahnhofsmission Göttingen