14. OKTOBER 2022

Menschen mit Armutserfahrungen diskutieren auf dem 15. Treffen der Menschen mit Armutserfahrung mit Politiker:innen

Berlin, 14. Oktober 2022: „Es ist gut, wenn Politiker:innen nicht nur mit Politiker:innen oder Privilegierten reden. Menschen mit Armutserfahrung brauchen mehr Gehör. Das, und eine selbstverständliche politische und gesellschaftliche Beteiligung muss Normalität sein.“ So fasst es die Teilnehmende Erika Biehn aus Sicht von 70 Menschen zwischen 12 und 77 Jahren zusammen, die sich zum jährlichen „Treffen der Menschen mit Armutserfahrung“ in Berlin getroffen haben. Mehr...

 

Materielle Existenzsicherung, der Klimawandel und gesellschaftliche Teilhabe standen im Mittelpunkt der Gespräche, die die Teilnehmenden mit den Bundestagsbgeordneten Kai Whittacker (CDU/CSU), Stephanie Aeffner und Wolfgang Strengmann-Kuhn (Bündis90/Die Grünen,) Jessica Tatti, (Die Linke) und Jens Teutrine (FDP)sowie mit Svenja Appuhn von der Grünen Jugend führten. Im Vorfeld hatte bereits ein Gespräch mit Annika Klose (SPD) stattgefunden.

 

„Es ist wichtig, dass Menschen mit Armutserfahrungen mitreden, wenn es um die Berechnung der Regelsatzhöhe, die Reform des Bürgergeldes oder Lösungen für die Preissteigerungen oder Mobilität geht“, so Heike Wagner und Heide Mertens vom Vorbereitungsteam. So seien die Regelsätze deutlich zu niedrig und deckten existentielle Bedürfnisse nicht ab. Die Entlastungspakete zur Energiekrise wirkten nicht zielgenau, um Menschen, die in Armut leben, ausreichend zu helfen.

 

„Es zeigt sich einmal mehr: Armutsbetroffene sind Expert:innen in eigener Sache. So war manchem Politiker:in nicht klar, dass es Unterschiede im SGB XII und SGB II z.B. in Bezug auf anrechnungsfreies Einkommen oder Wohnkosten gibt, die Erwerbsunfähige deutlich benachteiligen“, berichtet der Teilnehmende Kay Raasch. Auch der Vorschlag für Mitbestimmungsgremien in den Jobcentern sei interessiert aufgegriffen worden.

 

Die Wahl einer Vorbereitungsgruppe für das nächstjährige Treffen und anschließende gemeinsame Aktionen mit dem „Bündnis AufREcht bestehen“ zum Bürgergeld rundeten die Tagung ab.

 

Hintergrundinformation:

 

Das Treffen der Menschen mit Armutserfahrungen ist das Herzstück der Nationalen Armutskonferenz (NAK), einem Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden, Gewerkschaften, Fachverbänden und der Selbstorganisation von Menschen mit Armutserfahrung (https://www.nationale-armutskonferenz.de/) Die Tagung findet jährlich statt. In diesem Jahr trafen sich über 70 Personen in Berlin, um gemeinsam Probleme und Lösungen im Kampf gegen Armut zu diskutieren. Die Teilnehmenden führten am Mittwoch, 13. Oktober Gespräche mit Fachabgeordneten aus dem Bereich Arbeitsmarkt und Soziales im Bundestag.

 

Im Gespräch schilderte Kai Whittacker (Union) die aktuellen Diskussionen über das SGB II und verwies auf seine umfangreiche und persönliche Expertise zu Armutserfahrungen. Die unterschiedlichen Freibetragsregelungen in den SGB II und XII wurden gemeinsam kritisch bewertet. Zentrales Anliegen der Union bleibt die Vermittlung in Arbeit. Den Teilnehmenden war wichtig, darüber zu informieren, dass Armut viele Dimensionen hat. Ebenso stellten sie die Problematik Wohnungsloser und von zugewanderten EU-Bürger:innen zur Diskussion, die nach ihrer Ansicht politisch nicht ernst genug genommen werde.

 

Stephanie Aeffner von Bündnis 90 / Die Grünen wies auf ihre eigene Erfahrung in der Selbstorganisation hin. Höhere Regelsätze und ein grundlegendes Umsteuern in der Existenzsicherung wurden als wichtige Themen der Grünen deutlich, zugleich aber auch die Grenzen der Durchsetzbarkeit in der jetzigen Regierungskoalition. Die Forderung der Armutskonferenz, in den Jobcentern Menschen mit Armutserfahrung an Entscheidungs- und Mitbestimmungsstrukturen zu beteiligen, wurden von ihr und MdB Wolfgang Strengmann-Kuhn positiv aufge-nommen. Weitere Gesprächsthemen waren nicht ausreichend gedeckte Stromkosten und komplizierte und zu umfassende Anrechnungsregelungen von Einkommen.

 

Jessica Tatti von den Linken machte deutlich, dass die Beteiligung von Menschen mit Armutserfahrung bei der Regelsatzentwicklung und Reformen am Existenzminimum ihrer Fraktion ein wichtiges Anliegen sei. Die am Gespräch Beteiligten waren sich einig, dass Leistungsberechtigte auch ein aktive Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht in den Jobcenterbeiräten erhalten sollten.

 

Im Gespräch mit dem FDP-Abgeordneten Jens Teutrine war Kinderarmut ein wichtiges Thema. Die Teilnehmenden verwiesen auf hohe Hürden und deutliche Abbruchkanten bei nur wenig steigenden Einkommen beim bisherigen Kinderzuschlag. Interessiert nahm der Abgeordnete die Schilderungen zu Trennungssituation war, die zu Mangellagen in beiden Haushalten führen. Unterschiedlich wurden Sanktionsregelungen bewertet, Gemeinsamkeiten fanden sich beim Thema Entbürokratisierung, Beschleunigung der Antragsbearbeitung und der Beteiligung von Betroffenen in Schiedsstellen.

 

Svenja Appuhn von der Grünen Jugend nahm im Gespräch Anregungen von teilnehmenden Kindern und Jugendlichen auf, wie sich stärker gegen Klimawandel, Unterrichtsausfall an den Schulen und mangelnde Ausstattung mit Geräten an den Schulen engagiert werden kann. Die Kinder und Jugendlichen wiesen darauf hin, dass oft schon die Frage, wer sich welchen Computer leisten kann, über eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht entscheidet.

 

Aufgrund der Berichterstattergespräche zum Bürgergeld konnte Annika Klose (SPD) nicht am Tagungstermin selbst Gespräche führen. Hier soll es alternative Gesprächsmöglichkeiten geben; bereits im Vorfeld hatte ein intensiverer mehrständiger Austausch mit der Armutskonferenz stattgefunden, in dem die Bürgergeldreform breit diskutiert wurde.

 

Kontakt: armutskonferenz@remove-this.diakonie.de

 

Pressemitteilung

der Nationalen Armutskonferenz

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