05. FEBRUAR 2023

Gedanken zum 3. Sonntag vor der Passionszeit

Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. (Die Bibel, Buch Daniel 9,18b)

 

-Wir liegen vor dir- Ein sehr befremdliches Bild für mich. Doch halt, irgendwo habe ich es schon gesehen. In Erfurt, da wurde 1507 Martin Luther zum Priester geweiht. In einer Darstellung liegt er betend auf dem nackten Steinboden der Kilians Kapelle vor dem Altar des Herrn. Ein befremdliches Bild.

 

Ich gebe zu, so habe ich noch nie gebetet. Und nun? Der Vers beginn mit dem Wort „Wir“. Also nicht allein, sondern in Gemeinschaft. In Gemeinschaft fällt vieles leichter, auch Gebet. Und so steht in diesem Vers auch „unserem Gebet“. Da sind sich also Menschen einig, haben eine gemeinsame Haltung und – ganz wichtig! – beten Gott an, den Schöpfer der Welt. Sie vertrauen nicht mehr auf ihre „eigene Gerechtigkeit“. Was ist das, unsere eigene Gerechtigkeit? Im Duden finde ich: Gerechtigkeit ist ein normativer, mit einem Sollen verbundener Begriff. Mit ihm ist die Aufforderung verbunden,

ungerechte Zustände in gerechte umzuwandeln. Wer gerecht sein will, hat die Pflicht gegenüber sich selbst, aber auch in der Erwartung der Anderen, entsprechend zu handeln.

 

Ja, das will ich, das versuche ich, in meinem Leben und wir versuchen es in unseren Bahnhofsmissionen. Aber ganz ehrlich, wirklich gerechter wird diese Welt dadurch spürbar nicht. Und wenn ich unsere heutige Welt hier in Deutschland vergleiche mit der Welt, in der Daniel, der Schreiber des Verses gelebt hat, dann ist die Ungerechtigkeit unserer Welt hier in Deutschland ein laues Lüftchen gegenüber den Lebenserfahrungen von Daniel. Wenn meine, unsere Gerechtigkeit versagt und meine, unsere Welt immer ungerechter wird, was bleibt dann noch?

Daniel hat das erkennen müssen. Und er vertraut jetzt etwas anderem, nicht mehr der eigenen Gerechtigkeit, sondern „der Barmherzigkeit“. Was ist eigentlich Barmherzigkeit?

Barmherzigkeit ist nicht Mitleid. Von Mitleid hat keiner etwas. Barmherzigkeit erkennt die Not des anderen Menschen und wird mild – tätig. Unser Herz wird angerührt und wir tun etwas, das Not lindert. Und wir tun es milde also ohne Pflicht, ohne Kampf wie bei der Gerechtigkeit.

 

Und wem vertraut Daniel? Wer das Buch Daniel liest, wird erfahren, dass Daniel nicht bereit ist, Ideologien oder gar menschlichen Herrschern und ihren Ideen zu vertrauen. Das bringt ihm viel Ärger ein. Das war damals so und hier und heute ist es nicht viel anders.

Daniel vertraut der Barmherzigkeit des Herrn der Himmel und Erde und das All, einfach alles gemacht hat. Daniel spricht „deine große Barmherzigkeit.“  Er spricht Gott mit du an, lebt also in einer vertrauten Beziehung zum Herrn. Und er erkennt, dass Gottes Barmherzigkeit „groß“ ist. Vor diesen Herren kann er sich auch allein oder besser mit anderen gemeinsam hinlegen. Ich bin jetzt gespannt, wie sich meine heutige Welt verändern wird, bis ich dazu bereit bin, so zu beten. Und ich bin dankbar, von dieser Möglichkeit gehört zu haben, wenn meine und unsere eigene Gerechtigkeit versagt.

Gott, der Herr hat keine Pflichten, sondern ist von großer Barmherzig.

 

 

Constantin Schnee
Leiter Ökumenische
Bahnhofsmission Halberstadt

 


Vorsitzender Bahnhofsmission Deutschland e.V.