65 Prozent der Schuldnerberatungsstellen verzeichnen im Vergleich zum Jahresanfang 2022 steigende Nachfrage nach Beratung und Unterstützung
Berlin, 28. Februar 2023 - Die stark gestiegenen Verbraucherpreise machen sich nicht nur im schmaleren Geldbeutel der Menschen in Deutschland bemerkbar. Die hohe Inflation führt auch zu einem deutlichen Anstieg des Bedarfs nach Schuldnerberatung. Im Vergleich zum Jahresbeginn 2022 berichten 65 Prozent der gemeinnützigen Beratungsstellen in einer Umfrage von mehr Anfragen. Die Beratungsstellen müssen verstärkt bei Energie- und Mietschulden, bei der Pfändung von Staatshilfen oder bei der Budgetberatung unterstützen. Mehr...
Für die Umfrage hat die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) etwa 1.400 Beratungsstellen zur Nachfrage-Entwicklung sowie zum Profil und den Anliegen der Klientinnen und Klienten befragt. In der AG SBV sind die Anbieter der sozialen Schuldnerberatung organisiert. Wie schon in den beiden vorherigen Umfragen stieg die Nachfrage nach Beratung weiter deutlich an. In 16 Prozent der Beratungsstellen war die Nachfrage um mehr als 30 Prozent höher als noch zehn Monate zuvor.
Wartelisten werden länger
"Die wirtschaftliche Not vieler Menschen und damit der Bedarf nach Unterstützung und Beratung wachsen kontinuierlich. Die Pandemie hatte bereits diesen Effekt, nun sind es die steigenden Preise, die die Haushalte in finanzielle Schwierigkeiten treiben", erklärt Roman Schlag, Referent für Schuldnerberatung für die Caritas in Aachen und Sprecher der AG SBV. "Klar ist aber: Die explodierende Nachfrage bringt unsere Beratungsstellen ans Limit. Die Wartelisten für Termine werden immer länger und warten ist bei Geldproblemen nie eine gute Sache."
In knapp der Hälfte (48 Prozent) der befragten Beratungsstellen kommen "Energieschulden" als Beratungsgrund häufiger vor als in der Vorperiode, in 42 Prozent der Beratungsstellen ist "Budgetberatung" mehr gefragt. "Hinter Budgetberatung verbirgt sich die Frage: Wie komme ich klar mit dem Geld, das ich zum Leben habe?", erläutert Maike Cohrs, Schuldnerberaterin der Diakonie in Köln. "Es sind grundlegende Existenzfragen, die unsere Klientinnen und Klienten umtreiben – da geht es darum, ob die Wohnung im Winter überhaupt geheizt wird oder ob Essen auf den Tisch kommt."
Mehr Erwerbstätige, mehr junge Menschen und mehr Rentnerinnen und Rentner
Die Beratungsstellen berichten auch von einer zunehmenden Nutzung von Tafeln und Sozialläden durch ihre Klientinnen und Klienten. Auch auffällig: In 45 Prozent der Beratungsstellen waren unter den Ratsuchenden mehr Erwerbstätige als in der vorigen Umfrage. "Geldnöte bis hin zu Schulden sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagt Maike Cohrs. "Wir stellen seit einigen Jahren fest, dass die Aufnahme von Schulden in bestimmten Gruppen gesellschaftlich immer stärker akzeptiert und wirtschaftlich gewollt ist – sei es bei der Finanzierung des Autos, der Wohnungseinrichtung oder des Smartphones", so die Schuldnerberaterin weiter: "Das liegt nicht zuletzt an den niedrigen Zinsen in der Vergangenheit."
Ratenkredite und Angebote des "Buy now – pay later", die insbesondere seit der Pandemie durch Online-Händler intensiv beworben werden, führen dazu, dass junge Erwachsene bereits in frühen Jahren Zahlungsverpflichtungen eingehen, die sie später in die Schuldenfalle führen können - etwa, wenn Unvorhergesehenes passiert wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit. "Aus vorhersehbar kontrollierter Verschuldung wird schnell Überschuldung, insbesondere bei Menschen mit geringem Einkommen", erläutert Roman Schlag.
Recht auf unentgeltliche Schuldnerberatung für alle
Die Akteure der Sozialen Schuldnerberatung fordern schon seit mehreren Jahren ein Recht auf unentgeltliche Schuldnerberatung für alle.
"Gerade in Krisensituationen ist es besonders wichtig, dass alle Menschen, die Rat brauchen, einen offenen Zugang zur Schuldnerberatung haben", so Ines Moers, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung. "Dieses Recht kann nur eingelöst werden, wenn es genug Beratungsstellen und Beratungskräfte gibt und alles auskömmlich finanziert ist", so Ines Moers weiter. "Gute und kostenfreie Beratung ist ein entscheidendes Element, wenn es darum geht, Teufelskreise aus nicht beglichenen Forderungen, Scham und Überforderung zu brechen."
Hintergrund und weitere Informationen
Ergebnisse der Umfrage zu finden unter: www.agsbv.de
In die Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen der Verbände (AG SBV) haben sich die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (Deutscher Caritasverband, Diakonie Deutschland, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz), der Verbraucherzentrale Bundesverband und die Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung mit insgesamt 1.400 Beratungsstellen zusammengeschlossen. An der dritten Befragungswelle zwischen dem 11. November und dem 27. Dezember 2022 beteiligten sich 460 Beratungsstellen.
Gemeinsames Forderungspapier der Bürgerbewegung Finanzwende, des Instituts für Finanzdienstleistungen e.V. (iff) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung (BAG-SB):
Bündnis fordert Recht auf kostenlose Schuldnerberatung für alle - AG SBV:
https://www.agsbv.de/2022/12/buendnis-fordert-recht-auf-kostenlose-schuldnerberatung-fuer-alle/
Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatungsstellen der Verbände
Kontakt für Rückfragen:
Kathrin Klinkusch, Pressesprecherin Diakonie Deutschland, Tel. +49 30 65211-1780, E-Mail: kathrin.klinkusch@, diakonie.dewww.diakonie.de
Mathilde Langendorf, Pressesprecherin Deutscher Caritasverband, Tel. +49 30 28444 743, E-Mail:
mathilde.langendorf@, caritas.dewww.caritas.de
******************************
Pressestelle, Zentrum Kommunikation
T +49 30 65211-1780
F +49 30 65211-3780
pressestelle@ diakonie.de
Diakonie Deutschland
Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V.
Caroline-Michaelis-Str. 1, 10115 Berlin www.diakonie.de
****************************************
Die Diakonie ist die soziale Arbeit der evangelischen Kirchen. Bundesweit sind 599.770 hauptamtliche Mitarbeitende in rund 33.000 ambulanten und stationären Diensten der Diakonie wie Pflegeheimen und Krankenhäusern, Beratungsstellen und Sozialstationen mit 1,2 Millionen Betten/Plätzen beschäftigt. Der evangelische Wohlfahrtsverband betreut und unterstützt jährlich mehr als zehn Millionen Menschen. Etwa 700.000 freiwillig Engagierte sind bundesweit in der Diakonie aktiv.