19. JULI 2020

Gedanken zum 6. Sonntag n. Trin., 19. Juli 2020

Kürzlich war ich auf der Beerdigung eines mittlerweile sehr alt gewordenen Herrn, der aus einer bekannten Stuttgarter Familie stammte. Sein Grab befindet sich unmittelbar bei den Ehrengräbern Stuttgarter Persönlichkeiten wie z.B. dem früheren Oberbürgermeister Arnulf Klett. Ich habe diesen Herrn sehr geschätzt, weil er als aufrechter Christ jedermann mit Respekt und Höflichkeit begegnet ist. Er machte keine Unterschiede zwischen den Leuten, sondern begegnete jeder Person mit einer Haltung der unvoreingenommenen Wertschätzung. Das machte den Umgang mit ihm sehr angenehm und wertvoll, weil es auch bei Meinungsverschiedenheiten nie persönlich wurde. Ich empfand ihn darin immer als einen vorbildlichen Christen. Solche Leute müsste es noch mehr geben.


Wir erleben heute häufig ein Klima der Respektlosigkeit, in dem ehrrührige Worte und aggressive Angriffe an der Tagesordnung sind. Das beginnt in der S-Bahn und setzt sich fort bei den unsäglichen Angriffen, die derzeit oftmals das gesellschaftliche Geschehen bestimmen. Das ist auf keine gesellschaftliche Gruppe beschränkt. Unflätige Pöbeleien auf der Straße und unglaubliche Betrügereien von Spitzenmanagern gehören in dieselbe Kategorie der Respektlosigkeit. Nicht nur die Nachrichten sind voll davon, sondern auch wir selbst erleben das und sind selbst nicht immer frei davon. Manchmal werden wir selbst mit hineingezogen in diese raue und respektlose Atmosphäre der Lieblosigkeit. Kurz haben wir bei Beginn der Pandemie gedacht, das könnte sich ändern, weil sich auch viel Hilfsbereitschaft gezeigt hat. Mittlerweile klingen die Töne rauer als zuvor.


Akzeptanz und Achtung vor dem anderen Menschen, wer auch immer er sei und woher auch immer sie kommt, wie er oder sie aussieht oder durch jeweilige Prägungen auftritt, diese Haltung ist eine ureigene christliche Haltung. Sie ahmt damit nach, was Gott uns selbst gegenüber vormacht. Wir selbst haben doch auch nicht nur liebenswerte Seiten. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“, sagt Gott (Jesaja 43,1). Wir sind mit all unseren Seiten von Gott respektiert, akzeptiert, ja geliebt. Wenn wir das für uns annehmen, dann wirkt sich das auch auf unser Verhalten, unseren Umgangston, unsere Fähigkeit zur Zuwendung aus.


Respekt und Zuwendung sind die Erfahrungen, die Menschen bei der Bahnhofsmission machen können. Darin ist die Bahnhofsmission Kirche am Bahnhof, weil dort Menschen sind, die sich in diese Haltung des Respekts einüben und eingeübt haben. Und weil dort Menschen sind, die mit dieser Haltung wirken.

 

Klaus-Dieter Kottnik

Klaus-Dieter Kottnik ist Pfarrer der Württembergischen Landeskirche in Ruhe und Bundesvorsitzender der Bahnhofsmission.

 

Schreiben Sie ihm unter kd.kottnik@remove-this.bahnhofsmission.de