13. SEPTEMBER 2020

Gedanken zum 14. Sonntag nach Trinitatis

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan (Psalm 103, 2)

 

Es ist ein buntes Bild, das sich uns bietet Ende August, Mitten in Berlin: Junge und Alte, Familien mit Kindern, die, äußerlich betrachtet, aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten und politischen Lagern zu stammen scheinen. Sie haben sich versammelt, um gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zu demonstrieren. Wenn sie, was längst nicht alle tun, den fragenden Reporter*innen die Gründe für ihre Teilnahme an der Demonstration nennen, klingen die Stimmen engagiert, erregt, wütend, anklagend und manchmal prophetisch-drohend.


Einige der Demonstrierenden erzählen Geschichten, die kaum zu glauben sind und doch scheint bei ihnen kein Zweifel daran zu bestehen, dass die Grundlagen unseres Lebens, wie wir es bisher gewohnt sind, massiv bedroht sind von den Entscheidungen inkompetenter Politiker*innen und Wissenschaftler*innen. Manche vermuten gar geheime Bündnisse der „Mächtigen“, deren einziges Interesse es ist, die Menschen zu manipulieren und zu missbrauchen. Vom „Abdanken“, „Abstrafen“ und vom „weg müssen“ ist die Rede. Mir wird mulmig zumute, wenn ich mir das vorstelle - auch wenn ich den routiniert-lächelnd vorgetragenen Antworten mancher Veranstalter*innen und Aktivist*innen zuhöre, hinter denen Wut und Aggressivität zu spüren sind.


Woher kommen diese starken Gefühle, diese starke Abwehr? Mit fällt der Terminus des besorgten Bürgers ein, der zum Synonym geworden ist für all die Politikverdrossenheit, das Misstrauen und die aufgestaute Wut in Teilen der Bevölkerung, die seit einigen Jahren zu einer zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft beitragen. Diese Stimmungen sind auch unter den Corona-Demonstrierenden spürbar und mich treibt um, dass ausgerechnet die Pflicht zum Tragen einer Schutzmaske derartige Existenzängste heraufbeschwört, während – verzeihen Sie die Polemik – eine globale Bedrohung wie die Klimakrise vielen nur ein müdes Achselzucken abnötigt. Sie merken, auch ich leiste meinen Beitrag zur Spaltung, werde wütend und will mich nicht versöhnen mit aus meiner Sicht abstrusen Haltungen und Ideologien. Gibt es einen Weg aus dieser Klemme?


Der Wochenspruch aus Psalm 103 ermuntert uns, Gott zu vertrauen und dankbar zu sein, für das, was er uns Gutes getan hat. Wir werden aufgefordert, das Gute und Gelungene in unserem Leben in den Blick zu nehmen und für das Zweifelhafte, Missratene auf Vergebung, Barmherzigkeit und Gnade zu hoffen. Wenn wir in dieser Weise auf Gott vertrauen, so verstehe ich die Botschaft, kann es uns vielleicht auch wieder besser gelingen, den Menschen zu trauen. Wenn wir auf Gnade für uns hoffen dürfen, haben wir vielleicht auch Anlass, gnädig zu sein gegenüber den – aus unserer Sicht – fehlgeleiteten Anderen.

 
Als Menschen kennen wir die Furcht vor dem Fremden und dem Andersartigen. Wir fürchten darin Verletzungen und manchmal erleiden wir auch welche. Wir wollen uns deshalb schützen. Gleichzeitig wissen wir, dass Leben Veränderung bedeutet und wir nur wachsen können, wenn wir uns auf Neues einlassen. Das geht nicht ohne Konflikte und Anpassungsschmerz; das geht nicht, ohne sich zu behaupten das geht aber auch nicht, ohne zu vertrauen – auf die eigene Kraft, die Kraft anderer und nicht zuletzt auf die Kraft Gottes. Gelingt uns dies nicht, nimmt unsere Seele Schaden. Wir werden bitter und suchen nach Schuldigen für unsere Misere. Psalm 103 gibt der Seele auf, Gott zu vertrauen und dem Leben mit Optimismus zu begegnen. Dem schließe ich mich gerne an und wünsche Ihnen Allen in den Bahnhofsmissionen Zuversicht, Kraft und Gottes Segen.


Herzlich Ihr
Christian Bakemeier

 

 

Christian Bakemeier
Evangelische Geschäftsführung