11. OKTOBER 2020

Gedanken zum 18. Sonntag nach Trinitatis am 11. Oktober 2020

Kürzlich bin ich einem Posaunenbläser begegnet, der sich überlegt hat, wie er andere Menschen beim Posaunenspiel schützen kann. Er hatte aus einer Saugglocke einen Schutz um das Mundstück gebaut und den Posaunentrichter mit einem Tuch verbunden. „Ich kann nicht mit einer Maske spielen, also habe ich mir das überlegt, damit ich Schutz geben kann“. Es gibt zwar einen Trichterschutz für Posaunen zu kaufen, aber so einen Rundumschutz hatte ich noch nicht gesehen. Diese Fantasie als Zeichen seiner Achtung vor anderen Menschen hat mich sehr beeindruckt.


Fantasie ist manchmal auch gefragt, wenn Mitarbeitende der Bahnhofsmission Menschen auf Reisen begleiten, ob das begleitete Kinder bei Kids on Tour sind oder ältere oder blinde Menschen bei Bahnhofsmission mobil. Wie ich beobachte, ist es Fantasie, die der Liebe, der Achtung oder dem Respekt für andere Menschen entspringt. Einige Begleiter bei Kids on Tour haben sich besondere Spiele einfallen lassen, um die Kinder auf der Fahrt anzuregen. Andere haben es raus, wie sie ältere Menschen in sinnvolle Gespräche einbinden können, damit die Fahrt zum Erlebnis wird. Und wieder andere wissen genau, mit welchen geschickten Handgriffen sie blinden Menschen das Ein- und Aussteigen über die hohen Trittstufen der Wagons erleichtern können. Es gibt richtige Spezialisten in der Weitergabe von Liebe auf Reisen.


Denn das ist Liebe, wie sie vom Neuen Testament erwünscht wird. Das griechische Wort Agape hat eine umfassende Bedeutung, die vom Begriff der Zuneigung bis zur Wertschätzung reicht. Die Agape hat eine emotionale und eine rationale Seite. Manchmal entdeckt man über den Respekt die Zuneigung, aus der Haltung erwächst eine Gefühlsregung. Beides gehört zusammen.


Im Neuen Testament hat sich Johannes besonders viel Gedanken über die Liebe gemacht. In einem seiner Kernsätze schreibt er: „Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, der auch seinen Bruder liebe“ 1.Johannes 4,21. Heute würde Johannes selbstverständlich in gleicher Weise von Mann und Frau reden. Gottesliebe spiegelt sich in Menschenliebe wider. Das heißt, dort wo Menschen lieben, da ist auch Gott. Und umgekehrt: dort, wo Gott ist, da existiert Liebe unter den Menschen.


Das ist nicht immer selbstverständlich. Deshalb ruft Johannes auch dazu auf. Es geht darum, alle Fantasie aufzubringen, um Liebe Wirklichkeit werden zu lassen. Alle Handlungen und Verhaltensweisen von Christen stehen unter dieser Maßgabe. Wenn wir uns von den Gefühlen der Sympathie und den Ersteindrücken von Menschen leiten lassen, liegen wir nicht selten falsch. Aus der Haltung erst erwächst Verständnis, aus dem Verständnis oft Zuneigung. Und aus der Zuneigung kann auch wieder eine eindeutige Haltung erwachsen. Das heißt nicht, dass zur Liebe nicht auch eine klare Haltung in Bezug auf Fehler und Schuld gehört. Im Gegenteil, es ist lieblos, etwas zu vertuschen und zuzudecken. Erst umfassend werden wir den Menschen wirklich gerecht. Und darum geht es beim Umgang miteinander.


Klaus-Dieter Kottnik

Klaus-Dieter Kottnik ist Pfarrer der Württembergischen Landeskirche in Ruhe und Bundesvorsitzender der Bahnhofsmission.

 

Schreiben Sie ihm unter kd.kottnik@remove-this.bahnhofsmission.de