Derzeit erhalte ich Mails, Nachrichten und Briefe mit dem immer gleichen Tonfall. Es wird bedauert, dass dies oder jenes wegen der besonderen Umstände derzeit nicht möglich ist, gleichzeitig wird die Hoffnung ausgedrückt, es möge in absehbarer Zeit alles wieder möglich sein. Die beherrschende Vorstellung ist, dass wieder an das Gewesene angeknüpft werden kann und das Gewohnte seine Fortführung erfährt. Manche befürchten, dass es nicht mehr so wird und drücken ihre Ängste lautstark aus mit Vorstellungen, die in die Vergangenheit zurückgehen. Überall beobachten wir restaurative Tendenzen, ja das Wiedererwachen von Einstellungen, die wir längst als vergangen angesehen haben. Die Zeitungen sind voll davon, und wir erleben es auch persönlich: der Umgangston wird rauer, die abfälligen Bemerkungen übereinander nehmen zu, auf Kleidungsstücken können wir Sprüche lesen, die vor einiger Zeit noch nicht denkbar waren. Das zeigt, wie schwer es ist, mit dieser Zeit der Unsicherheiten umzugehen. Auf jeden Fall geht oft mit dem Blick in die nahe Zukunft der fernere Blick zurück einher in eine vermeintlich einfachere und problemlosere Zeit. Dass dabei vieles ausgeblendet wird, wird belanglos.
Bei der Trauer um einen Menschen zeigen sich die gleichen Erscheinungsformen. Gerne wird vieles aus der Vergangenheit verklärt. „De mortuis nihil nisi bene“ – „Über Verstorbene nichts als Gutes“. Das war schon der Leitgedanke der römischen Philosophen, der auf griechische Vorläufergedanken zurückgeht. Und das ist auch wichtig für einen Trauerprozess, durch den man sich erst nach und nach der Wirklichkeit des Gewesenen und der neuen Realität nähern kann. Aber nach dem Abschied kommt der Blick nach vorne: was will ich bewahren und was soll und kann sich jetzt ändern?
Der Wochenspruch am Toten- oder Ewigkeitssonntag stammt aus einer langen Rede Jesu über das Ende: „Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen“ (Lukas 12,35). Jesus spricht hier von aufmerksamer Wachsamkeit im Blick auf das Kommende. Seid sehr wachsam, denn das Reich Gottes kommt auf euch zu. Und wie dieses beschaffen sein wird, ist in der Bibel mehrfach beschrieben. Das gilt für den einzelnen Menschen wie für die gesamte Menschheit: es wird keine Tränen mehr geben, keinen Schmerz, keine Gewalt, keine Trauer, Gottes Gegenwart wird in der Fülle des Daseins erfahren.
Das ist die Zukunft, die wir als Christen erhoffen und erwarten. Dabei beschreibt Jesus die Erwartungshaltung nicht als passives auf sich zukommen lassen, sondern als aktive Gestaltung. Wer von dieser Hoffnung beseelt ist, gestaltet schon jetzt das Leben so, dass es in der Gegenwart Anklänge an diese Zukunft gibt. Der Blick der Hoffnung ist nicht rückwärtsgewandt, sondern nach vorne gerichtet. Wohl werden bei der neuen Gestaltung der Zukunft auch gute Erfahrungen aus der Vergangenheit wiederauftauchen, aber das Gute hat sich am Besseren zu messen. Und das Bessere ist das, was sich aus der vollendeten Zukunft, die wir als Christen erwarten, in der Gegenwart widerspiegelt. Und dafür lohnt es sich allemal, hoffnungsvoll und im Glauben an das Getragen werden von dem, der die Zukunft bringen wird, zu leben. Wer so lebt, ist auch offen für Neues, das es in der Vergangenheit noch nicht gegeben hat und das den Menschen guttut.
Pfarrer Klaus-Dieter Kottnik
Klaus-Dieter Kottnik ist Pfarrer der Württembergischen Landeskirche in Ruhe und Bundesvorsitzender der Bahnhofsmission.
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