24. OKTOBER 2021

Gedanken zum Erntedankfest

Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Römer 12, 21 Apostel Paulus)

 

Der Apostel Paulus gibt in seinem Brief an die Römer vor etwa 2000 Jahren im 12. Kapitel Weisungen für das Leben der Gemeinde. Im zweiten Teil dieses Kapitels kommen Hinweise für ethische und religiöse Verhaltensregeln im Alltag. Und so endet das Kapitel zusammenfassend mit dem Satz des heutigen Wochenspruchs: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.
Paulus ruft den Gläubigen von damals, wie uns heute eine Ermutigung zu: Wir sollen uns nicht mit dem Bösen abfinden oder es für unbezwingbar halten, obwohl es uns gelegentlich so mächtig erscheint. Sondern wir dürfen darauf vertrauen, dass das Böse überwindbar ist und zwar mit dem Guten.

 

So schlicht, so klar sind diese Worte. Lassen wir sie für einen Moment auf uns wirken.
Und plötzlich ist es da: das kitzelnde Moment des Zweifelns.


Was ist das Gute? Woran erkenne ich es? Wie lässt sich das Gute beschreiben? Und wie abgrenzen vom Bösen? Gibt es Gut und Böse überhaupt noch in unserer komplexen Welt des 21. Jahrhunderts? Ist das nicht etwas für die Zeit des Mittelalters, vor der Aufklärung? Oder zumindest nach Beendigung des Kalten Krieges unwirksam geworden? Außerdem gibt es so viel Böses und Schlechtes auf dieser Welt und das soll ich mit dem Guten überwinden können?


Und all dies gilt es ernst zu nehmen. Es ist schwer wie nie, die Folgen der eigenen Handlungen bis ins Letzte zu definieren und zu verstehen. Bei fast allen unseren Handlungen hängen die Dinge global zusammen. Unser Konsum in Europa ist mit Produktionsbedingungen in Asien verbunden. Unsere Form der Energiegewinnung in den letzten Dekaden steht in Zusammenhang mit konkreten Klimaveränderungen im südlichen Atlantik. Wir handeln an den Weltbörsen in Echtzeit mit Lebensmitteln in Afrika, mit Stahlprodukten in Nordamerika und Rohöl aus Russland. Unüberschaubar sind die Netzwerke von Ursache und Wirkungen geworden.

 

Doch darum geht es in dieser Bibelstelle nicht.

 

Sie setzt ganz konkret bei uns an: Wir tragen das Wissen, was gut ist, tief in uns und müssen vor allem anderen jeden Tag auf uns selbst hören und verstehen, was das Gute ist und wie es wirkt.

 

Wir müssen das Gute unsere Handlungen leiten lassen und damit bei uns selber anfangen. Was tut mir gut? Was kann ich meinem Nächsten und meiner Nächsten Gutes tun? Dann erkennen wir, dass dies selber Gutes erschafft. Einen Ort, einen Raum, eine Gruppe prägt, in der das Gute über das Böse dominiert, in dem man sich Mut macht und Freu(n)de gewinnt. Eine Gemeinschaft in der man sich hilft und man spürt, dass das eigene Handeln wirksam ist und Gutes schafft.

 

So wie Sie dies in den Bahnhofsmissionen tun. Seit über 125 Jahren jeden Tag und auch in Zukunft.

 

Ingo Grastorf

Ingo Grastorf

Zentrumsleitung

Zentrum Engagement, Demokratie

und Zivilgesellschaft Berlin