21. NOVEMBER 2021

Gedanken zum Ewigkeitssonntag

Legt Eure Gürtel nicht ab, und lasst Eure Lampen brennen! (Lk 12, 35)

 

In biblischer Zeit bestand die Kleidung der Männer wohl aus einem fast quadratischen Tuch in Wolle oder Leinen. Das hängten sie sich über die Schultern und hielten es mit einem Gürtel zusammen. Wer sich zum Schlafen legte, nahm den Gürtel ab, um es sich bequem zu machen. Das Tuch konnte dann auch als Zudecke genutzt werden. Selbstverständlich löschte man vor dem Schlafengehen auch  die Lampen – nicht nur um im Dunkeln zu schlafen, sondern auch, um einen Brand zu verhüten.

 

Lukas fordert uns auf, den Gürtel anzubehalten und die Lampen brennen zu lassen. Was er damit meint, ist: Bleibt wach und aufmerksam und seid immer bereit! Denn in jedem Moment Eures Lebens kann etwas Überraschendes geschehen.

 

Mitarbeitende der Bahnhofsmissionen kennen das. Dort kann wirklich jederzeit etwas Unerwartetes passieren. Die Situation kann sich von einem Moment zum anderen radikal ändern. Der nächste Mensch, der eintritt, kann mich in besonderer Weise herausfordern oder brauchen.

Denn schließlich sind die Bahnhofsmissionen ja  „offen für alle“.

 

Manche interpretieren das so, dass jederzeit unbeschränkt viele Menschen ohne Vorbedingungen in die Bahnhofsmissionen kommen können. Wenn man ehrlich ist, ist das aber unrealistisch und würde uns überfordern.

 

Ich meine, dass mit dem „Offensein für alle“ vielmehr eine Art von Wachsein gemeint ist. Wir würden heute vielleicht von geistiger und emotionaler Präsenz sprechen. Es geht um die Bereitschaft, sich in jedem Augenblick bedingungslos auf mein Gegenüber einzulassen. Ihm Ohr und  Aufmerksamkeit zu schenken. Ihm wirklich offen zu begegnen: vorurteilslos, neugierig, konzentriert, zugewandt. In jedem Augenblick wirklich „da“ zu sein, gegenwärtig mit allen Sinnen. Um Stimmungen wahrzunehmen und jederzeit bereit zu sein, durch Worte, Gesten und Taten zu lindern, zu trösten und aufzurichten.

 

Für diese Art von Offenheit, muss man sich vor schläfrigen Routinen, Abstumpfung und Aktivismus hüten. Die Haltung der Offenheit stellt sich nicht von selbst ein, sondern bedarf einer sorgfältigen Vorbereitung. Sie ist anspruchsvoll. So braucht sie etwat Absprachen im Team, Sicherheitsvorkehrungen, eine gute Vernetzung zu hilfreichen Partnern, ganz viel Fachkompetenz, Analysen und Reflexion, Begleitung und Fortbildung. Alles Voraussetzungen für aufmerksames Beobachten und geistesgegenwärtiges Handeln.

Genauso wichtig ist es aber auch, die Lichter der Hoffnung und die Feuer der Herzenswärme alle Zeit zu hüten und zu nähren, damit sie nicht verlöschen. Denn in jedem Augenblick meines Lebens kann der Moment kommen, in dem ein Mensch eintritt, der meine Aufmerksamkeit, mein Licht und meine Wärme braucht.

 

Gisela Sauter-Ackermann

Gisela Sauter-Ackermann

Katholische Geschäftsführung