19. DEZEMBER 2021

Gedanken zum 4. Advent

„Freut Euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freut euch! Der Herr ist nahe!“ (Phil 4, 4.5b)

 

Wer von Ihnen regelmäßig die Gedanken zum Tag liest, wird vielleicht feststellen, dass ich genau vor einem Jahr zu eben diesem Wochenspruch auch schon geschrieben habe. Nun will es der Zufall – vielleicht! – dass ich es in diesem Jahr wieder tue.

 

Eigentlich könnte ich es mir jetzt einfach machen und an dieser Stelle freundlich auf meine Gedanken vom letzten Jahr verweisen. Vielleicht noch mit dem Hinweis versehen, dass mir durchaus bewusst ist, dass wir keine Kanzlerin mehr haben. Irgendwie „the same procedure as last year“ oder „…und täglich grüßt das Murmeltier“.

 

So beim Gedanken kreisen, fällt mein Blick auf den Teller mit Lebkuchen, der noch von einer kleinen Dienstbesprechung auf meinem Tisch im Arbeitszimmer steht. Als kleines Mädchen habe ich mich unter anderem immer deshalb auf die Adventszeit gefreut, weil es ab dann – und wirklich erst ab dann – Plätzchen und auch Lebkuchen zur „Dämmerstunde“ bei meinen Großeltern für uns Kinder gab.

 

Auch Lebkuchen – Lebenskuchen – sind eine Art „same procedure as every year“, weil sie für viele von uns der Inbegriff von Weihnachten sind.

 

Lebkuchen: in den vergangenen Jahrhunderten wurden sie in den Klöstern als Medizin verabreicht und waren aufgrund der enthaltenen Gewürze knapp und sehr wertvoll.

 

Was brauchen wir in diesen Tagen im Advent, in dieser Zeit pandemischer Dunkelheit? Ich glaube, wir brauchen Kraft, die unseren langen Atem stärkt:

 

Lebkuchen hat pure Energie! Nüsse, Mandeln, Honig und eine gepfefferte Würze von Zimt, Kardamom, Nelken, Muskat und einige mehr… Energiedichte pur, gut gegen Hunger, gut in kraftlosen Zeiten, nicht so gut für´s Hüftgold des Überflusses…

 

Was brauchen wir in diesen Tagen, in dieser Zeit? Ich glaube Kraft, die unsere Seele heil macht.

 

Die puren Power-Zutaten, der geweihten Nacht – der Weihnacht: das Kind in der Krippe, das große Licht des Sterns, die Botschaft der Engel und dazu die Würze der vielen liebgewordenen Bräuche: Lieder, Texte, Kerzen, Plätzchen und Lebkuchen…

 

Die Hoffnungsdichte der weihnachtlichen Botschaft ist gut gegen den Hunger der Seele – gut in Zeiten pandemischer Kraftlosigkeit. Die Würze der vielfältigen Bräuche ist gut gegen Lieblosigkeit und Inhaltsleere des puren Konsums.

 

Lebkuchen schmeckt nach Weihnachten! Wie schmeckt das Leben? In diesem Jahr – in Wahrheit – in den beiden letzten Jahren oft etwas fade, nicht so süß, wenig herzhaft, für viele auch richtig bitter!

 

Advent/ Weihnachten ist Verheißung – Verheißung, dass das Leben wieder schmecken kann und wird. Eine Erinnerung und gleichzeitig ein neuer Anfang dafür, Geschmack und Sinn des Lebens wiederzuentdecken und sich des Lebens zu freuen und am Leben zu erfreuen. Lebkuchen hat vielerlei Geschmacksrichtungen – Lebkuchen ist süß wie Honig, aber auch salzig und auch ganz leicht scharf: wo die Schärfe des Lebens zu schmecken ist, ist der Durst auf Leben besonders groß.

 

Leb(ens)kuchen weckt den Durst und macht wach für das Wasser des Lebens; macht wach auf das, was kommt – wach für DEN, der kommt.

 

Frisch schmeckt Lebkuchen ziemlich gut, ist aber bei richtiger Lagerung lange haltbar und gehört zu den sogenannten Dauergebäcken. Als Kind hatte ich dann auch manchmal so ein Lebkuchen-Herz und habe es – weil´s ja eigentlich so schön aussah – erst Wochen oder Monate später versucht zu essen – die waren dann knüppelhart.

 

Menschen können ebenso hart werden, denke ich heute manchmal bei dieser Erinnerung… und es gibt auch genügend Gründe fürs hart werden. Auch oder vielleicht insbesondere in diesem Jahr! Immer noch Pandemie, Krankheit, Einsamkeit, wirtschaftliche Nöte, Arbeitsüberlastung und mittlerweile auch ein großes Maß an Ungeduld und Unverständnis… Ich weiß noch, wie ich als Kind an dem harten Lebkuchen zu kauen hatte – doch irgendwann kam dann langsam auch wieder der Geschmack zum Vorschein: Zimt, Kardamom, Nelken, Honig und eine gewisse (Vor-)Freude auf Weihnachten.

 

Was aber ist, wenn unsere Hoffnung eher einer Dauerbackware gleicht, an der wir so zu kauen haben? Was ist, wenn unsere Hoffnung und unsere Freude eine Art Widerstand sind, all dem zum Trotz, was Menschen hart und starr werden lässt? Eine Hoffnung und Freude, auf deren Geschmack wir erst wieder kommen müssen – die uns wieder für sich gewinnt, wenn wir sie ausprobieren.

 

Ich wünsche uns allen, dass der Geschmack der Hoffnung und der Vorfreude auf die Geburt unseres Herrn, so etwas wie persönliche Dauerbackware für uns wird.

 

Einen gesegneten 4. Advent und eine gute 4. Adventswoche

Herzlichst

Doris Vogel-Grunwald

 

 

Diakonin Doris Vogel-Grunwald

Leiterin der Bahnhofsmission in Oldenburg;

Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg;
Landesverband Oldenburg