09. JANUAR 2022

Gedanken zum 1. Sonntag nach Epiphanias

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen (Johannes 6,37)

 

Diese Jahreslosung für das neue Jahr 2022 klingt so einfach, sie hat es doch in sich. Ich versuche zunächst einmal dem Leben dessen nachzuspüren, der diese Worte spricht. Jesus hat in seinem nicht sehr langen Leben alles kennengelernt, was das Leben auf Erden bereit- hält: klirrende Armut und überschwängliche Begeisterung, ein Leben ohne Obdach und festliche Stimmung bei sich biegenden Tischen, hasserfüllte Anfeindungen und bedingungsloses Bejubelt-Werden, staunende Bewunderung und wütende Schmähungen, große Anerkennung und ein schmerzhaftes Leben in Haft, Umgeben-Sein von zugeneigten Freundinnen und Freunden und tiefste Einsamkeit im Sterben. Nichts, aber auch gar nichts Menschliches war ihm fremd. Jesus hat sich auch allen, die sich an ihn wandten, geöffnet. Damit hat er gezeigt: so ist Gott. Nichts, was im menschlichen Leben vorkommt, ist ihm unbekannt. Deshalb kann er jedem Menschen nahe sein, in welcher Lebenslage auch immer sich dieser Mensch befindet.

 

Wie anders seine Jünger: immer wieder misstrauisch, ängstlich und unsicher, Grenzen zu anderen ziehend, und als es darauf ankommt, feige abtauchend. Dennoch, trotz vielen guten Willens, erkenne ich mich in den Jüngern eher. Jesus hat seine an sich selbst zweifelnden orientierungslosen Freundinnen und Freunde tief innen in ihrer Existenz angerührt, als er ihnen nach seinem Tod erschien. Und ihnen war sekundenschnell klar: nichts kann uns trennen von Gott, so wie Jesus ihn repräsentiert hat. Das hatte Auswirkungen auf ihr Leben. Nicht dass sie über alles Menschliche, allzu Menschliche erhaben wurden, wohl aber, dass sie eine Kraft in sich spürten, es Jesus gleich zu tun. Das gilt auch uns:  mit dieser Kraft im Herzen können wir Vorurteile überwinden, Abgrenzungen einstürzen lassen, Herablassungen aufheben, negative Einstellungen hinter uns lassen, kurz: mehr lieben.

 

Das ist auch heute die Wirkung des Geistes Jesu, die aus seinen Worten, die als Leitwort über diesem neuen Jahr stehen, erwachsen.

 

Ist das nicht eine gute Botschaft zu Beginn eines Jahres, das viele nur mit sehr gebremstem Optimismus begonnen haben? Uns wird wieder viel Menschliches, allzu Menschliches begegnen – und wir werden selbst manchmal daran beteiligt sein. Aber wir können es immer wieder überwinden, wenn wir den an unserer Seite wissen, dem das nicht fremd ist und der eine Kraft zum Überwinden gibt. „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“. Insofern: ein gutes neues Jahr 2022.

 

Klaus-Dieter Kottnik   

 

Klaus-Dieter Kottnik

Pfarrer der Württembergischen Landeskirche in Ruhe 

stellv. Bundesvorsitzender der Bahnhofsmission

Schreiben Sie ihm unter kd.kottnik@bahnhofsmission.de