15. APRIL 2022

Gedanken zu Karfreitag

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die verloren werden, nicht verloren werden“ (Johannes 3,16)

 

Als ich noch Gemeindepfarrer gewesen bin, hat mich nach einem Gottesdienst ein Konfirmandenvater, ein Künstler, angesprochen und auf den im Altar hängenden gekreuzigten Christus gezeigt. So ein martialisches Symbol für den christlichen Glauben halte er für unerträglich. Es sei alles andere als für den Glauben gewinnend. Derzeit werden uns täglich Bilder gesendet, die noch schockierender sind als der gekreuzigte Christus in unseren Kirchen. Wir entdecken, was wir niemals wahrzunehmen glaubten oder auch nicht wollten, zu welcher Grausamkeit Menschen in der Lage sind. Solche Bilder wie aus den ukrainischen Städten kannten wir in Europa – wenn überhaupt – nur aus bebilderten Geschichtsbüchern.

 

Der christliche Glaube hat von Anfang an nicht die Augen verschlossen davor, was an Gewalt und Grausamkeit im Menschen steckt, wenn sie entfesselt wird. Deshalb hat er sich immer auch mit Jesus und seinem brutalen Kreuzesweg befasst. Jesus kannte die letzte Einsamkeit, als er den Todesschrei ausstieß: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“. Nur: das war nicht das letzte Wort. Das letzte Wort war: „Meinen Geist lege ich in deine Hände“. Jesus hat an Karfreitag schrecklich gelitten. Aber er hat auch die Erfahrung gemacht, dass in der allerschlimmsten Situation Gott da ist.

 

Das ist der Glaube, der von Karfreitag ausgeht: Gott ist auch in der allerletzten Situation da. Und das bestärkt die Hoffnung, dass er Wege aus der Situation heraus weiß. Um uns das zu vermitteln, dazu ist Jesus gestorben. Um uns darin zu bestärken, dazu ist Jesus auferstanden. Und dass daraus Hoffnung und auch ein offenes Herz für Menschen erwächst, die Leiden oder Schmerzen ausgesetzt sind, die flüchten müssen und Angst vor der Zukunft haben, das ist eine der bedeutsamen Wirkungen des Glaubens. Ohne diesen kann sich das Gefühl der Verlorenheit einstellen. Wer sich an Christus und seine Erfahrung hält, erfährt etwas von dem Geist der Ewigkeit im jetzigen Leben, wie auch immer es ist. Und der Geist der Ewigkeit atmet auch die Liebe.

 

Klaus-Dieter Kottnik

Klaus-Dieter Kottnik

Pfarrer der Württembergischen Landeskirche in Ruhe 

Vorsitzender des Bahnhofsmission Deutschland e.V.

Schreiben Sie ihm unter kd.kottnik@bahnhofsmission.de

 

 

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