15. MAI 2022

Gedanken zu Kantate

Singet dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder. (Ps 98,1 )

 

Dieser Psalmvers steht schon seit langem für diesen Sonntag fest. Dann kam der Krieg. Ich habe lange überlegt, ob ich einen anderen Text wählen soll. Gott tut Wunder? Wir sollen ihm ein Lied singen? Die Fragen sind die, die glaubende Menschen zu allen Zeiten gestellt haben: Warum lässt Gott das Leiden zu? Warum schweigt er? Gibt es ihn überhaupt? Kann er oder will er den Krieg nicht verhindern? Ist er entweder nicht gütig oder nicht allmächtig, wie die christliche Tradition verkündet?

 

Ich habe mich an diesem Text dann doch innerlich abgearbeitet. In der kollektiven Erinnerung Israels gibt es auch die Erfahrung, dass Gott fern ist, dass er nicht eingreift, wenn es Not, Krankheit, Krieg und Tod gibt. Israel schreit zu seinem Gott. Viele Stellen in der Heiligen Schrift sind Klage, sogar Anklage. „Warum hilfst Du uns nicht? Warum schreitest Du nicht ein? Warum sorgst Du nicht für Gerechtigkeit? Du bist doch unser Gott! Du hast doch eine Verheißung für alle Menschen!“ Hiob ist in der Bibel der Prototyp des Menschen, der mit Gott ins Gericht geht.

 

Die Erfahrung des Leidens ist für Israel deshalb so irritierend, weil sie bereits erlebt haben, dass Gott rettet und befreit, dass er neue Lebensmöglichkeiten schenkt, den Raum weit macht. „Er tut Wunder“ kann also auch als Erinnerung gelesen werden, was ich mit Gott schon erlebt habe. Diese „Wunder“ sind keine Zauberei. Es sind Situationen, in denen sich eine neue Lösung auftat, wo vorher alles aussichtslos schien. Wunder – biblisch gesehen – sind nicht die Taten von Superman, die Durchbrechung von Naturgesetzen oder das Eingreifen in die Geschichte von außen her. Gott wird kein Brot von Himmel fallen lassen, um hungernde Menschen zu sättigen. Er mutet uns zu, dass wir diese Welt in Freiheit so gestalten, dass alle Menschen gute Lebensmöglichkeiten haben. Sich mit dem Notwendigen bescheiden, mit anderen teilen, sich für Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.

 

Das Lied, zu dem der Psalmist auffordert, soll ein „neues Lied“ sein. Es ist das Lied meines Lebens, das, was mein Leben gerade ausmacht und bestimmt. Es ist das Lied der Menschen, die sich nicht mit dem Status Quo zufriedengeben wollen. Es ist das Lied für die Zukunft unserer Erde. Es kann auch eine Klage oder die Aufforderung an Gott sein, dass das Unheil endlich endet.  Das Lied der Verzweiflung und der Klage angesichts von Krieg, tausendfachem Sterben und der Vertreibung hat trotzdem den Unterton der Hoffnung und der Verheißung, dass es so nicht weitergehen kann.

 

Wie sieht im Augenblick das Lied Ihres Lebens aus? Singen Sie es vor Gott! Schmettern Sie es ihm entgegen! Christ:innen glauben an eine gute Zukunft.

 

Hubertus Schönemann

1.Vorsitzender der Bahnhofsmission Erfurt

Hubertus Schönemann

1.Vorsitzender der Bahnhofsmission Erfurt

 

 

 

 

 

 

 

 

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