07.AUGUST 2022

Gedanken zum 8. Sonntag nach Trinitatis

Wandelt als Kinder des Lichts; die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit. (Eph 5, 8b,9)

 

Wandelt als Kinder des Lichts. Dies gibt der Apostel Paulus den Ephesern als Richtlinie für ein gutes, gelingendes Leben mit.

Als Kinder des Lichts wandeln, Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit - taugen diese Begriffe auch als Leitsatz für die Arbeit in der Bahnhofsmission? Und was kann dies in unserem Alltag bedeuten?

 

Das Licht in uns entdecken und weitertragen

Ich mag die Vorstellung, dass wir alle ein Licht in uns tragen, eine Quelle der Kraft, ein Gefühl von Verbundenheit und ein sehr tiefes Wissen darüber, was für uns wichtig und richtig ist.

Auch wenn wir unsere Arbeit meist prosaischer angehen: das tägliche Tun in der Bahnhofsmission hat auch damit zu tun, dieses Licht weiterzutragen: eine spontane Hilfe am Bahnsteig, der freundliche Small-Talk mit einem Stammgast, das intensive Gespräch mit jemandem, der verzweifelt ist. Neben der eher praktischen Unterstützung oder Beratung geht es auch darum, dem anderen etwas Gutes mitzugeben, einen Lebensmut wieder zu wecken – eben das Licht weiterzutragen.

 

Das Licht im Anderen entdecken

Nicht nur diejenigen in der Helferrolle, sondern auch die Gäste der Bahnhofsmission sind „Kinder des Lichts“.

 

Manchmal ist das offensichtlich, wie bei der älteren Dame, der ich beim Umsteigen helfe und die eine so liebenswerte Art hat, dass ich mich nach der Begegnung ganz beschwingt fühle. Bei anderen Gästen muss ich vielleicht länger nach dem Leuchten suchen, doch es ist vorhanden. Ich denke da an Gäste, die in sehr prekären Verhältnissen leben und stark von ihren Problemen in Anspruch genommen sind. Oft fordernd und aggressiv. Doch wenn jemand Neues in der Szene auftaucht, kümmert sich immer jemand um diese Person, zeigt ihr, wo es kostenloses Essen gibt, wo man übernachten kann.

 

Die Frucht des Lichts ist lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.

 

Wenn wir auf das Licht achten, erwächst daraus – so Paulus - Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit. Gut sein und sich für Gerechtigkeit einsetzen – zweifellos sind dies Werte, für die wir stehen wollen.

Doch Vorsicht: helfend tätig zu sein bedeutet nicht, automatisch und immerzu auf der Seite des „Guten“ zu stehen. Anna Freud, Wolfgang Schmidbauer und viele andere haben sich damit beschäftigt, wie Helfen auch dafür benutzt wird, eigene Hilflosigkeit zu überdecken oder gar eigene Aggressionen und Machtansprüche auszuleben.

 

Eine (selbst-) kritische Haltung gegenüber dem Sich-im-Besitz-der Wahrheit-Glauben versteht sich – hoffentlich – von selbst. Wir sollten Wahrheit hier eher im Sinne von Wahrhaftigkeit, Aufrichtigkeit verstehen. Aufrichtig sein uns selbst gegenüber, unsere Haltung, unser Handeln, unsere Beweggründe immer wieder neu reflektieren – für eine helfende Tätigkeit ist das unverzichtbar, egal ob haupt- oder ehrenamtlich.

 

Bei aller notwendigen Reflexion wünsche ich Ihnen doch viel Freude dabei, das Licht aufzudecken -  in Ihnen und in den Menschen, denen Sie begegnen.

 

Daniela Stumpe, BM Tübingen

Daniela Stumpe

Leiterin der Bahnhofsmission Tübingen