9. OKTOBER 2022

Gedanken zum 17. Sonntag nach Trinitatis

"Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat." (1. Joh. 5,4 )

 

Was für eine starke Aussage!

 

Gerade war der 3. Oktober – Tag der deutschen Einheit – und mir sind wieder die kraftvollen Bilder im Kopf, die mich als junge Frau aus dem Westen nur staunen ließen:

 

Bilder aus dem Herbst 1989 aus Städten wie Leipzig oder Rostock oder auch Ost-Berlin. Tausende Menschen sind auf die Straßen gegangen und haben friedlich demonstriert. Sie trafen sich zuerst in Kirchen – wie z.B. der Nikolai-Kirche in Leipzig oder der Marienkirche in Rostock – um von dort aus gestärkt durch Gesang und Gebet friedlich durch die Straßen zu ziehen, um auf die Missstände im Land aufmerksam zu machen. Ausgangspunkt dafür waren die Friedensgebete, die schon seit Beginn der ´80er Jahre initiiert worden waren. In Leipzig haben Menschen mit Geduld und großer Hoffnung im Glauben diese Friedensgebete unbeirrt fortgesetzt, auch in Zeiten als anderen Orts diese mangels Beteiligung längst eingestellt wurden. Diese Friedensgebete waren die Keimzelle der friedlichen Revolution, wie die Geschichtsbücher heute über diese Zeit schreiben.

 

Sie sind ein deutlicher Beweis dafür, dass der Glaube zu einem Sieg über Unrechtsregime oder über Grundsätzliches, was uns Menschen unsere Freiheit raubt, führen kann. Dies Beispiel aus unserer Geschichte zeigt, dass Glaube nichts Abstraktes ist, sondern dass wir im Vertrauen auf Gott Menschen gemachte Grenzen überwinden können.

 

Die Bilder aus Leipzig zeigen mir heute noch, wie ansteckend Glaube sein kann; dass Glaube Mut machen kann, um Widerstand leisten zu können. So wie dort von Montag zu Montag mehr Menschen Mut hatten, sich gemeinsam mit anderen in den Kirchen zu treffen und dann dem Unrechtsstaat gegenüberzutreten. Ich wünsche mir – und bete dafür – dass es an vielen Orten auf dieser Welt, egal ob in Russland oder der Ukraine, im Iran oder China, in Syrien oder Katar, und überall dort, wo die Sehnsucht nach Frieden und Freiheit mit Füßen getreten wird, wo Menschenrechte keinen Platz haben, doch (Schutz-)Räume gibt, an denen Menschen sich versammeln können. Wo Menschen – im Vertrauen auf Gott – sich im Glauben stärken lassen können, um gemeinsam Widerstand zu leisten. Damit – am Ende – der Glaube der Sieg ist, der die Welt (mit all seinem Unrecht) überwunden hat!

Diakonin Doris Vogel-Grunwald

Leiterin der Bahnhofsmission in Oldenburg,

Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg;
Landesverband Oldenburg