06. JANUAR 2023

Gedanken zu Epiphanias

Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt (1. Joh. 2,8b)

Wir zünden gerne Lichter an. Gerade in der dunklen Jahreszeit und ganz besonders an Weihnachten. Aber was ist eigentlich mit der Finsternis? Ohne sie kann das Licht nicht leuchten. Man stelle sich unsere Advents- und Weihnachtsrituale im Hochsommer vor. Und auch die Sterne am Himmel brauchen die finstere Nacht, um ihren Glanz zu verbreiten.

 

Spätestens seit es elektrisches Licht gibt, verdrängen wir die Dunkelheit systematisch aus unserem Leben. Wer sitzt schon gerne im Dunkeln? Auch draußen meiden wir die schummrigen Ecken. Denn Licht ist nicht nur Freude und Hoffnung, es bedeutet auch Sicherheit, Sehen und Gesehen werden. Ohne Licht ist der Tag kürzer und oft auch das Leben.

 

„Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht und man siehet die im Lichte die im Dunkeln sieht man nicht.“ Das ist die Schlussstrophe der Moritat von Mackie Messer in der Dreigroschenoper von Bertold Brecht.

 

Die einen sind im Licht, die anderen sind im Dunkeln. Das ist eine Feststellung. Und es ist auch eine Erfahrung, die wir machen, wenn wir unglücklichen Menschen begegnen oder in die Schattenseiten unseres eigenen Lebens hinabsteigen. Wer im Dunkeln lebt, muss sich anpassen, um zu überleben. Im Licht betrachtet, wirken sie dann vielleicht schmutzig. Oder sie verhalten sich wie Geblendete, sind verschreckt oder unsicher. Denn die im Dunkeln leben gewöhnen sich daran, unsichtbar zu sein.

 

Manchmal sind wir selbst aber die Geblendeten, die vergessen, dass um den Lichtkegel unseres Lebens herum viel Dunkelheit ist. Nur wenn wir sehr genau hinsehen, werden wir die Menschen dort wahrnehmen. Es ist gut, ihnen Licht zu bringen. Auch im übertragenen Sinn: Das kann ein Wort sein, ein Händedruck oder eine Tasse Kaffee. Gerade in ganz dunklen Räumen verbreitet schon eine einzige Kerze erstaunlich viel Licht. Sie anzuzünden macht einen entscheidenden Unterschied. Denn die Finsternis kann nur vergehen, wenn es für alle heller wird. Und um noch einmal auf den Wochenspruch aus dem Ersten Johannesbrief zurückgekommen: Welches Licht könnte für die, die im Dunkeln sind, „wahrer“ sein als ein Mensch mit einem zugewandten Lächeln und einer Hand, die zum Helfen bereit ist?

Gisela Sauter-Ackermann

Bundesgeschäftsführung Bahnhofsmission