12. MÄRZ 2023

Gedanken zum 3. Sonntag der Passionszeit / Okuli

Meine Augen sehen stets auf den Herrn; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen. (Psalm 25,15)

 

Von Gottvertrauen spricht König David hier, vom festen Glauben, dass Gott ihm zur Seite steht, auch dann, wenn der Psalmist Gefahr läuft, sich in bedrohliche Situationen zu verstricken.

 

Je länger ich die Worte betrachte, desto schöner finde ich sie. Wenn mein Fuß im Netz gefangen ist, hilft es nicht, zu zerren und zu strampeln. Stattdessen heißt es, einen kühlen Kopf zu bewahren, ruhig zu bleiben und vorsichtig, Faden für Faden, die Verstrickung wieder zu lösen. Wie gut, wenn mir hier jemand zur Seite steht, auf den ich mich verlassen kann. Jemand, der nicht ungeduldig wird, sondern einfach da ist und hilft.

 

Was aber, wenn das so nicht funktioniert? Wenn niemand da ist, zu dem ich Vertrauen habe? Wenn ich mich nicht aus der Verstrickung lösen kann, sondern mein Agieren dazu führt, dass sich die Schlinge immer fester zuzieht?

 

Mit Menschen in solch festgefahrenen Situationen haben wir es in der Bahnhofsmission häufig zu tun. Vergiftete Liebesbeziehungen, Sich-Einlassen auf Menschen, die einem nicht guttun, süchtiges Verhalten in all seinen Facetten, Kriminalität: Die Menschen, die sich uns am Bahnhof anvertrauen, haben oft mehr als nur einen Fuß in der Schlinge. Oft sind sie schon tief im unguten Netz gefangen.

 

Der Gast, der von seiner Spielsucht erzählt und wie er damit seine Ehe ruiniert hat – ist er selbst schuld, weil er nicht frühzeitig seinen Fuß aus dem Netz gezogen hat? Liegt es an ihm, dass er nicht gelernt hat, dass man anderen vertrauen und deren Hilfe annehmen kann? Inwieweit ist er ein Opfer der Umstände und wo beginnt seine Verantwortlichkeit?

 

Lässt sich auch für solche Situationen etwas aus unserem Psalm lernen?

Wir können der Person, die sich uns anvertraut, zur Seite stehen. Zuhören. Keine Schuld zuweisen. Aber zeigen, dass Verantwortung übernehmen schmerzhaft, doch auch sehr hilfreich sein kann.

Das Gegenüber darin bestärken, nicht zu verzweifeln über ein „verpfuschtes“ Leben. Gemeinsam auf die Suche gehen nach Kraftquellen, aus denen Freude und Vertrauen in das Leben neu erwachsen können.

 

Dabei müssen wir aber realistisch bleiben: das Gespräch in der Bahnhofsmission kann dem Gegenüber eine Ruhepause verschaffen, Raum für erste Ideen, wie sich der Fuß aus dem Netz ziehen lässt.

Wir sollten uns jedoch nicht anmaßen, den Anderen aus seinen Verstrickungen befreien, ihn „retten“ zu können. Dies wäre übergriffig. Und es liegt auch nicht in unserer Macht.

 

Daniela Stumpe, BM Tübingen

08.03.23

Daniela Stumpe

Leiterin der Bahnhofsmission Tübingen