02. JULI 2023

Gedanken zum 4. Sonntag nach Trinitatis

Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. (Gal 6,2)

 

Ist das nicht schon wieder eine dieser kirchlich-christlichen Zumutungen, dass der eine dem anderen helfen soll, der barmherzige Samariter? Dieser erwartbare Altruismus, ein Gutmenschentum, das in der christlichen Erziehung so oft benutzt wurde, um das eigene Fortkommen zu behindern?

 

Wenn ich aber länger darüber nachdenke, fällt mir viel ein, wo die Menschen dieser Welt tatsächlich so stark miteinander verwebt sind, dass einer des anderen Last trägt, und beide das gar nicht ändern können. Unser Lebensstil und unsere Handlungen betreffen nicht nur uns selbst, sondern haben Auswirkungen auf andere Menschen. Die Geschäfte in der Fußgängerzone schließen, weil nur noch im Internet eingekauft wird. Der Temperaturanstieg, der mich hoffentlich fragen lässt, wie bei meiner Mobilität, beim Heizen und bei meiner Nahrungsnutzung mein CO2-Fußabdruck aussieht, der dazu führt, dass die Behausungen von Menschen in Bangladesch bald unter Wasser stehen werden.

 

Oder denken Sie an die Generationengerechtigkeit: Immer weniger junge Menschen müssen immer mehr Ältere unterhalten, mit Rente, Pflege etc. Vor dreißig Jahren haben sich kinderlose Paare noch beklagt, dass sie nicht dafür „bestraft“ werden dürften, wenn sie „double income, no kids“ haben, heute sorgen wir uns um Arbeitskräftemangel und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme.

 

„Einer trage des anderen Last“ fragt nach der Partizipation. Von was will ich ein Teil sein, von was bin ich bereits ein Teil? Der Vers fordert uns heraus, nicht für uns alleine zu schauen und zu planen, sondern zu sehen, wo und wie wir in dieser Weltgesellschaft miteinander auf verschiedenen Ebenen vernetzt sind. Es ist wie ein Mobile: Wenn sich an einer Stelle ein Teil dreht, bewegt sich das ganze Mobile mit, weil alles miteinander vernetzt ist.

 

Wir lernen also neu zu teilen: Ressourcen, Zeit, Leben. Und damit teilzuhaben an anderen Lebensgeschichten, an anderen Erzählungen von Heil und Unheil. Das Evangelium mutet uns zu, Teilhabe einzugehen und zu gestalten. Partizipation. Am Bahnhof, im Kiez kann Teilhabe heißen: Die anderen sind mir nicht egal, ich kann hier etwas lernen, ich kann etwas dazu beitragen, dass das große Ganze gut wird und dass es Fülle gibt. Und so schreibt Paulus dann auch, dass wir so das Gesetz Christi erfüllen. Ich verstehe das nicht juristisch, dass Jesus das befiehlt oder reglementiert. Das Wort Gesetz/Weisung (nomos) spielt hier auf die Tora des Alten Testaments an: die Weisung als Weg zu einem erfüllten Leben, die Gott Israel geschenkt hat. Mit Partizipation helfen wir mit, das, was Christus eröffnet hat und anbietet, voll, ganz und rund zu machen und tragen so zur Fülle bei. Wir helfen dabei, die Welt zu heilen.

 

Dr. Hubertus Schönemann ist ehrenamtlicher Vorsitzender der Bahnhofsmission Erfurt

Dr. Hubertus Schönemann

1.Vorsitzender der Bahnhofsmission Erfurt