20. AUGUST 2023

Gedanken zum 11. Sonntag nach Trinitatis

Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. (1. Petr 5,5b)

 

Das Zitat scheint aus der Welt gefallen. Es kann doch nicht Aufgabe der Bahnhofsmission sein, sozial Benachteiligten „Demut“ zu predigen? Oder sind wir selbst es, die sich bescheiden sollen? Schlechte Ausstattung, stressige Arbeitsbedingungen, geringe Bezahlung hinnehmen, denn letztendlich geht es uns doch besser als so vielen anderen?

Sollen wir uns den alten Poesiealben-Spruch wieder zu Eigen machen, laut dem gerade wir Frauen bescheiden, nur wie das „Veilchen im Moose“ blühen sollen?

 

Demut, so verstanden, hilft mit, Menschen „unten“ zu halten.

Beschäftigen wir uns jedoch stärker mit dem Konzept der Demut, sehen wir, dass es dabei um etwas Anderes geht. Es macht einen enormen Unterschied, wer wem in welcher Situation Demut nahelegt.

Das Petrus-Zitat richtet sich in erster Linie an die Ältesten der Gemeinde, an deren Führungen also, an diejenigen, die in der Gemeinde das höchste Ansehen besitzen. Es geht darum, wie Leitung aussehen soll. Mit Demut ist gemeint, da zu sein für die Gruppe, für das Ganze. Um wirklich gut führen zu können, muss das eigene Macht- und Profitstreben, die eigene Eitelkeit überwunden werden.

 

Im Bahnhofsmissions-Alltag äußert sich eine so verstandene Demut, wenn es uns um das Wohl des Anderen geht. Wenn wir unserem Gegenüber Respekt entgegenbringen, es ernst nehmen und uns bewusst sind, nichts „Besseres“ zu sein.

Eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Doch auch und gerade die Rolle als Helfer*in kann zu Hochmut verführen, zu Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit.

 

Komplizierter wird alles noch, weil wir auch von Seiten mancher Gäste mit intoleranten und selbstgefälligen Haltungen konfrontiert werden. Auf der Schattenseite des Lebens zu stehen, feit noch lange nicht vor Hochmut: Gäste, die vehement Verschwörungserzählungen vertreten oder rechtes Gedankengut, sind wahrscheinlich in allen Bahnhofsmissionen bekannt.

Demut heißt hier nicht, das Gegenüber einfach gewähren zu lassen!

 

 

Als Lebenshaltung bedeutet Demut, Gegebenes hinnehmen zu können. Anzuerkennen, dass wir nicht alles formen und kontrollieren können. Dass wir nicht das Maß aller Dinge sind und dass wir vieles einfach nicht durchschauen. „Letztendlich hat das Leben immer recht“ – diesen Spruch habe ich irgendwo gelesen und finde ihn weise und sehr entlastend.

 

Als Schluss-Satz möchte ich ihn aber nicht stehen lassen. Legt er nicht nahe, dass alles genauso gut bleiben kann, wie es ist? Im Persönlichen, im Gesellschaftlichen, im Politischen?

Nein. Demut ist nicht Bequemlichkeit, ist nicht Feigheit. Aber woher wollen wir denn wissen, welche Beweggründe, welches Handeln richtig sind?

 

Eine abschließende Antwort darauf gibt es wohl nicht. Vielleicht aber zeigt die Bitte um Weisheit, wie im „Gelassenheitsgebet“ formuliert, einen Weg:

 

Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Daniela Stumpe

Leiterin der Bahnhofsmission Tübingen