27. AUGUST 2023

Gedanken zum 12. Sonntag nach Trinitatis

Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. (Jes. 42,3)

 

Wer bei der Bahnhofsmission mitarbeitet, ist in der Regel bereit zur Begegnung. Meist sind es Menschen, die in irgendeiner Weise Hilfe brauchen, mit denen die Mitarbeitenden am Bahnhof in Kontakt kommen. Das beginnt beim ‚klassischen‘ Bahnsteigdienst mit seinen Unterstützungsdiensten und dazu zählen oft auch Begegnungen in den Räumen der Bahnhofsmission. Da werden Aufenthaltsmöglichkeiten vorgehalten, Stärkungen gereicht und vor allem Gespräche angeboten. In den letzten Jahrzehnten ist gerade dieser Teil der Arbeit immer wichtiger geworden. Manchmal wird ‚nur‘ ein Gespräch gegen die Einsamkeit gesucht, oft aber auch ein Problem vorgetragen, sei es materieller, sozialer oder seelischer Art. Viele Besucher der Bahnhofsmission sind gezeichnet von schwierigen Wegen des Lebens. In den Jahresberichten der Stationen liest man von Obdachlosigkeit, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit und vermehrt von seelischen Erkrankungen unter denen Frauen und Männer leiden, die bei der Bahnhofsmission vorbeikommen. Daran musste ich denken, als ich mich fragte, was das Bibelwort der Woche für die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission bedeuten kann. Viele der Gäste auf dem Bahnhof sind Menschen, deren Leben einem geknickten Rohr oder einem glimmenden Docht ähnelt. Schwierige Lebenswege, abgebrochene Beziehungen, Flucht in den Rausch, Isolation, Arbeitslosigkeit, Flucht, Krankheiten beeinträchtigen das Leben und machen es schwer. Ein geknicktes Rohr kann sich nicht gut entwickeln und der glimmende Docht droht zu verlöschen. Da ist Hilfe nötig. Als bei uns im Garten eine Sonnenblume abknickte, da half das Anbinden an einen stützenden Holzstab – die Lebenssäfte konnten weiter fließen und die Blüte der Sonnenblume uns später erfreuen. Und auch einem glimmenden Docht kann mit frischer Sauerstoffzufuhr und etwas Geschick wieder zu hellem Licht verholfen werden. Im Bibelspruch der Woche wird Gott als der geschildert, der Leben nicht zerbricht und Licht nicht auslöscht. Ein tröstliches Bild, das mir gut verdeutlicht, dass Gott Leben will und Helligkeit im Dasein – gerade auch für die, die die Erfahrung des Abknickens und des nur noch Glimmens im Leben machen. Dies anderen erfahrbar zu machen, dafür spielen die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission immer wieder eine helfende Rolle. Durch Ihren lebensfördernden und zugewandten Einsatz zeigen sie Menschen, die sich manchmal wie ein geknicktes Rohr und ein glimmender Docht fühlen, dass sie nicht verloren sind, sondern auch in ihrer Not gesehen und gehört werden. Insofern ist für mich der Dienst der Bahnhofsmission ein wahrer und hoffnungsvoller Gottesdienst, denn er lässt Menschen erfahren, dass Gott das geknickte Rohr nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht nicht auslöschen wird. Immer wieder hilft dies Menschen, neue Kraft zu schöpfen und das Leben wieder zu finden. Wie gut, dass die Mitarbeitenden der Bahnhofmission diese Botschaft in den Begegnungen ihres Dienstes weitergeben!

 

Jörg Hagen, Propst i.R.

Vorsitzender der Landesgruppe Niedersachsen 

der Deutschen Evangelischen Bahnhofsmission

Jörg Hagen

Propst i. R., Lüneburg