Christus spricht: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25,40b)
Unser heutiger Vers stammt aus der Erzählung zum Weltgericht im Matthäus-Evangelium. Menschen waren hungrig, durstig, fremd, nackt, krank oder im Gefängnis. Andere Menschen haben ihnen zu Essen und Trinken gegeben, sie aufgenommen, bekleidet oder besucht. Sie werden vom Weltenrichter in den Himmel aufgenommen.
Die Bedeutung und das Besondere dieser Erzählung wird für mich erst richtig deutlich, wenn ich mir ausmale, wie die Geschichte auch erzählt werden könnte. Botschaften werden im Kontrast manchmal erst richtig klar.
Eine erste andere Form der Erzählung könnte so gehen: Der Weltenrichter zählt auf, ob und wie oft jemand in der Synagoge war oder zum Tempel im Jerusalem gepilgert ist, wie sehr sich jemand an die mehreren hundert Regeln für ein sittenreines Leben gehalten hat. Umso mehr jemand dies getan hat, desto eher kommt er oder sie in den Himmel. So gut und richtig dies sein mag, hätte diese Art von Geschichte es überhaupt in das Evangelium, der Frohen Botschaft vom Reich Gottes, geschafft?
Dem gegenüber geht es in der Matthäus-Variante um die Frage, ob ich etwas für Benachteiligte, Ausgegrenzte, Arme getan habe. Das ist das wirklich entscheidende! Bin ich da zu finden?
Es wäre doch gut, wenn uns dies schon heute aufgeht – und nicht erst, wenn wir vor dem Weltenrichter stehen -, so können wir in diesem Tun schon heute frohgemut unterwegs sein.
Eine zweite andere Form der Erzählung könnte so gehen: Der Weltenrichter zählt auf, wie oft jemand mystische Erfahrungen hatte und davon andere begeistern konnte, wie oft und wie lange sich jemand im Gebet in der unmittelbaren Nähe zu Gott erlebte. Umso mehr jemand dies getan hat, desto eher kommt sie oder er in den Himmel. So gut und richtig dies sein mag, hätte diese Art von Geschichte es überhaupt in das Evangelium, der Frohen Botschaft vom Reich Gottes, geschafft?
Dem gegenüber geht es in der Matthäus-Variante um die Erfahrung, dass Gott in diesen Menschen, denen Hilfe zu Teil wird, Gott selbst innewohnt. Für damalige und für heutige Ohren ist es immer noch ungewohnt, vielleicht sogar unvorstellbar: Gott ist im benachteiligten Menschen, der Gast in der Bahnhofsmission ist, selbst präsent. Was für eine Begegnung kommt da zu Stande? Kann ich meine Hilfe, meine Unterstützung, meinen Kontakt so sehen, dass im Anderen ebenso Gott erfahrbar wird? Es wäre doch gut, wenn uns dies schon heute aufgeht – nicht erst, wenn wir vor dem Weltenrichter stehen.
Peter Nagel
Peter Nagel
Theologe, Sozialarbeiter,
Referent für Bahnhofsmissionen
für die Caritas in Niedersachsen/Bremen