01. OKTOBER 2023

Gedanken zum Erntedank Sonntag

„Aller Augen warten auf dich und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit." (Psalm 145, 15)

 

Der heutige Text ist aus der Reihe „Lobpreis der Größe und Güte Gottes“ Gleichzeitig ist er aber auch ein Versprechen an uns Menschen. Im Zusammenhang mit dem vorangehenden Vers wird diese Zusage ganz besonders deutlich: „Der Herr erhält alle, die da fallen, und richtet auf alle, die niedergeschlagen sind.“

Eine Stelle, die deutlich macht: Jede und Jeder ist im Angesicht Gottes. Wir alle, denen es gut geht, die ihr Tun, ihre Familie, ihre Freunde und Auskommen haben. Aber auch diejenigen, die gefallen sind, die niedergeschlagen sind. Auch sie, und ganz besonders sie, hat Gott im Blick. Sie finden eine gesonderte Erwähnung, dass sie aufgerichtet werden. Es wird ihnen physisch aufgeholfen, aber mehr noch: sie werden auch innerlich durch Gott aufgerichtet.
Und erst danach, wenn auch die Gefallenen wieder Gleiche unter Gleichen sind und sich mit anderen auf Augenhöhe begegnen, gibt Gott allen ihre Speise.

Dies ist am heutigen Erntedank Sonntag ganz direkt zu verstehen. Gott gibt uns durch die Früchte seines Bodens Speis und Trank – er sättigt uns. Die Erde ist so angelegt, dass sie auch im Jahr 2023 genügend Essen und Trinken für alle 8 Milliarden Menschen bereitstellen kann. Und gleichzeitig haben wir allem technischen Fortschritt zum Trotz es immer noch nicht geschafft, diesen Schatz des Lebens auch nur halbwegs gerecht zu verteilen. Immer noch und aktuell wieder mehr denn je hungern Millionen von Menschen, während sich in unseren Breiten die Tische und Supermarkt-Regale vor Überfluss biegen.

 Und so ist dieser Psalm ein Lobpreis Gottes, ein Versprechen an uns aber auch ein seit zweitausend Jahren von uns unerfüllter Auftrag. Es reicht für alle! Ihr die mehr als genügend habt, verteilt es so, dass wir alle genügend Speise zur rechten Zeit haben mögen.

Dies führt zum hinterliegenden Gedanken dieses Psalms. Er ist voraussetzungsreich. Wir müssen bereit sein, abzugeben, zu teilen und zu beteiligen. Wir müssen weltweit Bedingungen schaffen, in denen Chancen auf Entwicklung und Gestaltung gleichmäßiger verteilt sind. Und wir müssen dies auch in unserem Land tun: Die Gefallenen aufrichten, ihnen Unterstützung beim Aufstehen gewähren und Anknüpfungspunkte in das gesellschaftliche Zusammenleben bieten.
Dies passiert oftmals unbewusst in den Bahnhofsmissionen, wenn ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee von Mensch zu Mensch geführt wird mit jemanden, der schon viel zu lang nicht mehr sprechen konnte, wenn Essen geteilt wird, auf dass alle Speise haben zur rechten Zeit. Dann wird deutlich, dass die Jahreslosung „Du bist ein Gott, der mich sieht“ auch durch die kleinen und großen Begegnungen von uns Menschen mit anderen Menschen praktisch erfahr- und erlebbar wird.

 

 

 

Ingo Grastorf

Zentrumsleitung

Zentrum Engagement, Demokratie

und Zivilgesellschaft Berlin