10. DEZEMBER 2023

Gedanken zum 2. Advent

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht." (Lk 21,28b)

 

Liebe Leserinnen und Leser,

liebe Kolleginnen und Kollegen in den Bahnhofsmissionen,

 

noch häufiger als zu anderen Jahreszeiten begegnen uns  jetzt in der Adventszeit in den S- und U-Bahnen Berlins armutsbetroffene, oft obdachlose Menschen, die um eine Unterstützung bitten für etwas zu essen oder einen Schlafplatz in der Übernachtungseinrichtung. Manche der Fahrgäste greifen dann zum Portemonnaie und spenden, meistens bleiben die Blicke aber gesenkt oder auf das Handy gerichtet und auch die Hilfesuchenden wirken geübt darin, solange zu Boden zu schauen oder den Blickkontakt zu vermeiden, bis ein Zeichen der Spendenbereitschaft beim Gegenüber zu erkennen ist.

 

Wird dann gegeben, erfolgt meistens ein kurzer, freundlicher Wortwechsel mit einem Dank der Beschenkten; wird nicht gegeben, bleibt zumeist ein Maß an Distanz gewahrt, das hilft, die Integrität der Bittenden wie der Gebetenen zu wahren. Auch wenn der Spendenwunsch unerfüllt bleibt, erfolgt trotz der offenkundigen Not der Bittenden nur ganz selten eine kritische Reaktion, manchmal ein Klagen oder leises Schimpfen, meistens aber ein an alle Fahrgäste gerichteter Wunsch für eine sichere Weiterfahrt, einen schönen Tag oder Abend.

 

Adventlicher, nein ganzjähriger Alltag in einer großen Stadt, die auch Köln, München oder Frankfurt heißen könnte. Subtil werden zwischen Menschen in einer für die Bittenden existenziellen und hoch schambehafteten Situation Möglichkeiten und Grenzen einer Unterstützung verhandelt. Wir sind so daran gewöhnt, dass wir die Szenen oft erst gar nicht wahrnehmen oder bald wieder vergessen. Wir halten den Kopf oder den Blick gesenkt, und wehren das schamhafte Gefühl ab, das auch uns befällt angesichts der Not der Menschen und der Würdelosigkeit der Situation.

 

Was aber wäre, wenn wir der Not erhobenen Hauptes ins Auge sehen? Würden wir, wenn auch nicht Erlösung, doch andere Lösungen finden für mehr Gerechtigkeit? Würden wir zu anderen Einsichten kommen und uns einsetzen für eine friedlichere und lebenswertere Welt auch für die Menschen am Rande, die Ausgegrenzten und Notleidenden?

 

Mit der bevorstehenden Geburt Christi setzt Gott ein Zeichen der Hoffnung, der Vergebung und des Friedens für alle Menschen. Sie erreicht uns in einer Welt des Unfriedens, des neu aufflammenden Hasses unter den Menschen und großer Not, die uns immer wieder zweifeln und manchmal auch verzweifeln lässt. Heben wir den Blick und schauen wir nicht weg. Erkennen wir die Zeichen und lassen Sie uns gemeinsam eintreten für Frieden, Gerechtigkeit und Verständigung.

 

Die Bahnhofsmissionen bereiten gerade in vielen Städten adventliche Feiern für ihre Gäste vor. Sie schaffen damit ein Stück Geborgenheit und Schutz vor den beschämenden Blicken der Straße, der Bahnhöfe und der Nahverkehrszüge. Hier in Berlin und anderswo melden sich viele Menschen, die im Advent oder an Weihnachten mithelfen wollen. Darüber freuen wir uns und sind dankbar über dieses Zeichen der Solidarität, Wäre es nicht noch schöner, wir könnten Menschen gemeinsam dabei helfen, ihre Not aus eigener Kraft dauerhaft zu überwinden?

 

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Adventszeit.

 

Herzlich

Ihr

Christian Bakemeier

Christian Bakemeier

Evangelische Geschäftsführung

Bahnhofsmission Deutschland e.V.