„Jesus rief mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Und der Verstorbene kam heraus.“ Joh 11, 43+44
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Eine Ostergeschichte mitten im September. Lazarus, ein enger Freund von Jesus war gestorben. „Er stinkt schon“ sagten seine Schwestern zu Jesus, als der an sein Grab ging. „Da ist nichts mehr zu machen“, meinten sie. „Du hättest mal früher kommen sollen. Jetzt ist es zu spät. Der Zug ist abgefahren. Deine Chance zu zeigen, wie mächtig du bist, ist nun vorbei. Lass es sein!“
„Da kann man nichts mehr machen,“ denke ich manchmal. Wenn ich Menschen begegne, deren Lebenssituation extrem verkorkst ist. Wenn eine Hoffnung definitiv gestorben ist. Wenn jemand eine schlimme Diagnose erhält. Wenn Beziehungen im Streit zerbrechen und auseinandergehen. Es gibt viele Momente in unserem Leben, in denen uns der Tod begegnet. Der Tod von Menschen in unserem Umfeld oder auf den Kriegsfeldern der Welt. Aber es sterben ja auch Sehnsüchte, Hoffnungen, Erwartungen, Zukunftsvisionen. Hiobsbotschaften ohne Ende.
Jesus lässt sich von den Schwestern des toten Lazarus nicht beirren. Er ruft in das Grab hinein: „Lazarus, komm heraus!“ Verrückt! Ein Leichnam kann doch nicht mehr hören, geschweige denn gehorchen. Aber als sei es das Normalste der Welt heißt es im nächsten Satz. „Und der Verstorbene kam heraus.“ Das Wort Jesu hat selbst im Tod noch Lebenskraft. Jesus ruft einen Namen und der Mensch lebt auf.
Ob wir uns diesen Gedanken ab und zu auch zutrauen können? Dann, wenn wir vom Tod oder Sterben hören nicht umzudrehen und uns abzuwenden, sondern sagen (und glauben): „Der Tod ist nicht das Ende.“ Vor einem halben Jahr haben wir das an Ostern gefeiert. Im Christentum gilt jeder Sonntag als ein kleines Osterfest. Als Memo: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Er geht nicht als Sieger davon, sondern muss am Ende selbst klein beigeben.
Und so verändert der Ruf Jesu auch meinen Blick auf gestorbene Träume und Hoffnungen. Manchmal nur ganz leise, manchmal auch wagemutig rufe ich ihnen entgegen: „Leben, komm heraus!“ „Mensch, lass dich nicht fertigmachen!“ Manchmal wächst dann wieder Hoffnung. Manchmal tut sich dann ein neuer Weg auf. Und manchmal habe ich dann einfach die Kraft, mit anderen Leidenden das Leid auszuhalten. Auch ihnen zuzurufen: Komm heraus, aus deiner Lethargie. Aus deiner „Es wird ja doch nicht besser-Haltung“. Komm heraus, da ist noch viel mehr, als wir auf den ersten Blick sehen. Da ist Leben in dir!
PD Dr. Christine Siegl
Pfarrerin;
Ruhr Universität Bochum, Evangelisch Theologische Fakultät,
Forschungsprojekt „Nächste Hilfe am Bahnhof“