19. JANUAR 2025

Gedanken zum 2. Sonntag nach Epiphanias

„Denn aus seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade“ Joh. 1,16

 

Gnade  – was für ein „großer“ Begriff! Meine erste Frage ist: versteht diesen Begriff heute noch jemand? Und wenn, wie denn?

 

Johannes der Täufer kündigt in diesem Kontext den Sohn Gottes an, er beschreibt Jesus als „eingeborenen Sohn vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Da ist wieder dieses Wort: Gnade.

Die dann beschriebene Fülle bezieht sich also auf Jesus Christus, der – allen, die an ihn glauben - Quelle dieser Gnade ist und wir eben davon profitieren.

 

Was genau bedeutet das nun für mich? Für uns als Menschen heute? In diesen Zeiten? Zynisch könnte man fragen, wo ist sie denn heute die „Gnade“?

 

Erst einmal ist die Gnade Gottes ein unverdientes Geschenk, das wir ohne Vorleistung bekommen. So wie nicht alles, was uns an Gutem widerfährt, durch eigenes Tun erreicht wurde und wird, zeigt sich, dass wir von Gottes Gnade profitieren. Dies kann uns in der Haltung bestärken, dankbar und vielleicht auch ein bisschen demütig zu sein.

 

Das Bewusstsein, dass wir als Christenmenschen uns der bedingungslosen Liebe Gottes sicher sind und in der Gemeinschaft nicht allein sind, kann jede*n Einzelnen stärken und Hoffnung machen.

 

Wie zeigt sich nun diese Gnade im Alltag?

 

Das ist in der Tat nicht kurz beantwortet. So wie Viele ja in diesen Zeiten gern auf schnelle und einfache Antworten bauen… - hier braucht es einen Moment, wo ein „um die Ecke denken“, lohnt.

Haben wir nicht alle unsere Fehler? Manche größer und wirklich für die Mitmenschen anstrengend, manch andere als „nette Macke“ abgetan? Wir alle leben in Beziehungen zusammen, ob es nun an der Arbeit ist, in der Nachbarschaft, in der Familie, im Freundeskreis… wir sind verbunden mit Anderen und an der einen oder anderen Stelle auf Andere angewiesen – nichts geht auf Dauer und immer allein! Und da, wo Menschen zusammen arbeiten und leben, braucht es Formen von Gnade im Alltag.

 

Sie heißen vielleicht

  • Hilfsbereitschaft: jemand hilft einem anderen ohne eine Gegenleistung zu erwarten, ganz uneigennützig!
  • Empathie und Mitgefühl: jemand hört zu, wo niemand anderes mehr zuhören kann, ohne zu bewerten und zu beurteilen!
  • Geduld: jemand bleibt, obwohl es lange dauert, mit einer Entscheidung eines anderen; jemand fragt zum zigsten Mal nach, obwohl der andere jedes Mal den Worten keine Taten folgen lässt.
  • Freigiebigkeit: jemand teilt seine Ressourcen mit anderen, die weniger haben.
  • Fehlerfreundlichkeit: jemand weiß und handelt in dem Wissen, dass niemand fehlerfrei ist… und verzeiht Fehler.
  • Vergebung im Alltag: jemand gibt einem anderen eine zweite Chance, obwohl diese aus der Perspektive anderer nicht verdient ist.

 

Gnade – ein „großer“ Begriff? Ja, irgendwie schon und doch: nein, irgendwie „nur“ ein Begriff, aber einer, der in unserem Leben einen nicht geringen Stellenwert haben sollte. So wie wir „aus seiner Fülle nehmen Gnade um Gnade“ und somit aus Gottes Gnade leben und auch aus und mit der Gnade unserer Mitmenschen, so kann jede*r von uns eben diese Gnade durch diese oben genannten Aspekte mit Leben füllen – jeden Tag neu, Gnade um Gnade.

 

Herzlichst Doris Vogel-Grunwald

Doris Vogel-Grunwald

Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg
Gleichstellungsbeauftragte

frühere Leiterin der Bahnhofsmission Oldenburg