16. MÄRZ 2025

Gedanken zum 2. Sonntag der Passionszeit

Gedenke, JHWH, an dein Erbarmen und an Deine Hulderweise, wahrlich, von Ewigkeit her sind sie (Psalm 25,6)

 

Die Österliche Bußzeit hat begonnen. Sie ist nicht nur eine äußerliche terminliche Vorbereitung auf das Osterfest. Nicht nur eine Zeit zum Entschlacken, damit ich meine Pfunde loswerde oder mal schaue, ob ich ohne Alkohol noch sein kann. Die vierzig Tag sind eine Einladung auszutesten, was auf einer viel tieferen Ebene in meinem Leben langfristig Bestand hat. Was ist meine Bestimmung, was ist mein ureigener Weg? Oder aktiver formuliert: Wie kann ich als Mensch und als Christ:in in dieser Zeit leben? Was braucht es durch mich, hier und heute?

 

In einer Zeit, wo autoritäres Gehabe, toxische Männlichkeit, das Behaupten alternativer Fakten die Oberhand zu gewinnen scheinen, wo mit Drohungen und Erpressungen das Recht des Stärkeren zu gelten scheint, wo in einem zerstörerischen Freund-Feind-Denken alle für den eigenen persönlichen Gewinn eingespannt und alles den eigenen selbstbezogenen Zielen unterworfen wird, zeigt uns der Psalmvers einen alternativen Gott.

 

Das hebräische Wort für „Barmherzigkeit“, hebräisch racham, bezeichnet ursprünglich den Mutterschoß, wo das werdende und wachsende Leben geborgen und geschützt wird. Gott nimmt hier in den Bildern des Psalms also weibliche beschützende Züge an. Das Wort „Gnadenerweise“, hebräisch chässäd, bedeutet wortwörtlich das Sich-Hinneigen, sich dem Anderen zuwenden, nicht drohend oder herablassend, sondern interessiert an dem, was dem Anderen wichtig ist. Gott verneigt sich vor der Würde des Anderen/der Anderen. Chässäd meint unbegrenztes Wohlwollen, Aufmerksamkeit, den anderen sein lassen und großmachen wollen.

 

Wie wohltuend! So ist Gott von Ewigkeit her. In den Worten des Psalms schwingt so noch viel mehr mit: Gott hat in Erbarmen und Zuneigung die Welt und jeden Menschen ins Dasein gerufen, damit außer ihm etwas ist, an dem er sich freuen kann, mit dem er Beziehung haben kann.

 

Gott hat das „Gegenüber“, vor allem das Kleine und Schwache, so geliebt und sich zugeneigt, dass er in Jesus von Nazaret Teil dieser ambivalenten Welt geworden ist. Es ist das Entscheidende des christlichen Glaubens, dass Jesus der Christus das Gesicht und die Gestalt der Barmherzigkeit Gottes ist. So hat er gelebt, den Menschen einladend zugewandt. Am Kreuz hat er sich der Welt und allem Leid zugeneigt, um es von innen her zu besiegen. Für Christen ist Ostern das Geheimnis einer Liebe, die alles überwindet, selbst den Tod. Diese Welt hat Zukunft und Ewigkeit

 

Der Mensch kann sich in seinem Verhältnis zu dem, was ihn umgibt, an Gott ein Beispiel nehmen: schützendes Erbarmen und kommunikative Zuneigung. Die Österliche Bußzeit lädt uns ein, in unserem täglichen Leben Gottes Beispiel des Erbarmens und der Zuneigung aufzunehmen, um einen Beitrag zu leisten für eine andere, eine verwandelte Welt, eine Welt der Barmherzigkeit, der Wahrheit und der Gerechtigkeit. Das ist derzeit nötiger denn je.

 

 

Dr. Hubertus Schönemann.

 

 

 

 

 

 

Dr. Hubertus Schönemann ist Theologe und als Vorsitzender sowie als Diensttuender in der Ökumenischen Bahnhofsmission Erfurt engagiert

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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