06. JULI 2025

Gedanken zum 3. Sonntag nach Trinitatis

"Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist." Lukas 19,10

 

Lukas berichtet an dieser Bibelstelle die hinreichend bekannte Begegnung von Jesus mit dem Zöllner Zachäus in Jericho. Plakativ könne man davon sprechen, dass Jesus herging und klassische Sozialarbeit in unserem Verständnis machte: Er ging zu einem, der „am Rande der Gesellschaft steht“, um mit ihm gemeinsam  eine Teilhabe am Leben in „der Mitte der Gesellschaft“ möglich zu machen. Hat das Wirken von Jesus somit 1:1 eine Vorbildfunktion für die Arbeit der Bahnhofsmission?

 

Die größte Parallele ist sicherlich das Sehen, das Wahrnehmen von anderen Menschen. Und so wie Jesus Zachäus erkannte, obwohl sich dieser blickgeschützt in der Baumkrone wähnte, erkennen auch wir Mitarbeitenden der Bahnhofsmission Menschen und Ihre Bedürfnisse, die leider oft mit Notlagen verbunden sind. Einsamkeit, Isolation, Krankheit, Armut, Hoffnungslosigkeit oder Sucht, um einige zu nennen. Vielleicht lindern wir erstmal Bedürftigkeit mit unserer Notversorgung, bieten zumindest für kurze Zeit Obdach und Aufenthalt. Dennoch sehen wir vor allem den Menschen mit seinen ganzen Potentialen, hören zu, geben Raum und Zeit für seine individuelle Geschichte. Eine Geschichte, die vielfältiger ist als das eindimensionale reduzieren auf eine Diagnose oder nicht immer steuerbares (Sozial-)Verhalten. Mit Achtung und Haltung würdevoll Menschen begegnen, die immer wieder aufs neue Ablehnungs- und Exklusionserfahrungen machen, ist alternativlos, wenn auch nicht immer einfach. Zu einem respektvollen Umgang gehört meines Erachtens nach das oben benannte Potentiale sehen und fördern, also ein aktivierender Umgang mit unseren Gästen, statt ein weiteres Schicksal zu verwalten.

 

Und somit ist das, was Lukas als „selig zu machen“ beschreibt, eher ein kontinuierlicher Prozess, den wir anstoßen und begleiten können. Zur Befreiung aus Situationen die als schambehaftet erlebt werden. Zur Befähigung zur selbstbestimmten Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Zur Überwindung von schwierigen Situationen. Und bei allen Rückschlägen die manchmal hinzunehmen sind: Der Einsatz für unsere Gäste lohnt sich immer, auch wenn wir täglich aufs Neue bei null anfangen.

 

Robert Klebes

Leiter der Bahnhofsmission Freiburg